Header

Peter de Chamier: Der Detektiv in der Literatur • Kapitel 14

Epilog

Completely satisfactory detectives are extremely rare.

Völlig über­zeu­gen­de Detektive sind extrem selten.

W. H. Auden. The guilty vicarage. Harper's Magazine, May 1948.


un kommt die Frage, ob nach 1990 nichts Neues in der De­tek­tiv­li­te­ra­tur pas­­siert ist? Doch — es gab tau­sende neuer Romane, aber wirk­lich neue li­­te­­ra­­ri­­sche Ent­­­wicklungen lassen sich nicht verzeich­nen. Die Ana­ly­ti­ker im Stile ei­nes Hercule Poirot haben längst ihre Ab­schieds­vor­stel­lung gegeben. Reine De­tek­tiv­ro­ma­ne wurden in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg allmäh­lich von der Position, die sie in­ne­h­at­ten, zu­­rück­ge­drängt. Eine Spitzen­position in der Literatur haben sie nie­mals be­­ses­sen — oder nur ganz kurze Zeit.

Hier siedel­ten sich die suspense novels und thriller an, die Span­nungs­­ro­ma­ne, die die ana­ly­ti­schen Wer­ke all­mäh­lich ersetzt haben. Ihr literarischer Wert liegt sehr niedrig, und ihr Pro­blemkreis läßt keine tief­greifenden Überlegungen zu, auch wenn sie als „psy­cho­lo­­gi­sche“ oder „gesellschafts­kritische“ Bücher auf den Markt geworfen wer­den. Immer mehr Autoren legten Wert auf Sex und Bru­ta­li­tät, Cha­rak­ter­­dar­stel­lungen oder Sozialkritik und psychologi­sche Pseu­doanalyse statt Handlung. Literatur in un­se­rem Zu­­sam­­men­­hang ist aber Graham Greene's en­ter­tain­ment, was schwierig zu schrei­ben ist.

Mehr gibt es zum Thema De­tek­tiv­ro­ma­ne und ihrer Abarten nicht zu sagen?

Doch sicherlich, aber dies genügt meiner Meinung nach als Überblick. Es gibt be­stimmt hunderttau­sende sol­cher Bücher und Kilo­­meter von Sekun­därliteratur — obwohl man immer noch etwas dazusteuern kann.


Look at the book Ein paar Worte im Nachhinein, wieder anekdotisch, einige Punkte, die viel­leicht oder wahrscheinlich ebenfalls einen Ein­­fluß auf das Verständnis und die Be­­ur­­tei­­lung von Ro­­ma­­nen haben — wie zum Beispiel von Detektivromanen und Graham Greenes entertainment-Politthrillern:

Ich schreibe in meinen Romanen, was ich gern schreiben und auch lesen will. Aber ich lese auch vieles andere. Und ich schreibe nicht, um Bücher zu verkaufen und mög­lichst viele Leser ein­zu­fan­gen, sondern zu meinem Vergnügen. Wenn andere daran Freu­de haben, ist es auch meine Freu­de.

Viele Autoren schreiben auf der einen Seite für sich selbst, auf der anderen und in ers­ter Linie für ihre Leser. In den meisten Fällen gibt es kein direktes Feedback zwi­schen den beiden — obwohl Autoren guten Zuspruch, Lob und Hinweise meist freudig auf­neh­men — wie: „die auf Seite 278 beschriebene Straße ist nicht die Madison Avenue sondern die Michigan Avenue“ … notfalls auch Berichtigungen von Schreib­fehlern, die vom Autor und den Lektoren übersehen wurden.

Es gibt leider auch unfundierte bösartige Kritiken, deren man sich nur durch Nicht­beachtung erwehren kann.

Dann gibt es Leser, die einen Roman nicht von der Wirk­lichkeit im täglichen Leben unter­schei­den können oder wol­len. Sie nehmen vieles in einem Spionageroman, zum Bei­­spiel, als Tatsachen an — auch Leser aus „gebildeten“ Kreisen.

Die Äußerungen von Sean Connery („James Bond“) im vorigen Kapitel sind nicht aus der Luft gegriffen, wenn es sich in diesem Fall auch nicht um Bücher, sondern um Fil­me handelt. Er war nicht James Bond, er hat lediglich eine erfundene Figur gespielt.

Schlimm wird es, wenn Detektivromane oder Polit-Thriller, die in der Ichform ge­schrie­ben sind, von manchen Lesern als Autobiographien ausgelegt werden. Bruce Marshall schreibt im Vorwort zu seinem (fast-Detektiv-) Roman The Divided Lady — Die Dame Mila (1960):

spaceholder blue  So many intelligent persons misinterpret the novelist's trade that I feel I must ex­plain that not only are all the characters and events in this story imaginary, but that the narrator is too and that his creator does not always share his views or commend his conduct.

spaceholder red  So viele intelligente Menschen interpretieren das Handwerk des Schriftstellers falsch, daß ich glaube, erklären zu müssen, daß nicht nur alle Charaktere und Er­eig­nis­se in dieser Geschichte imaginär sind, sondern daß der Erzähler es auch ist und daß sein Schöpfer nicht immer seine Ansichten teilt oder sein Verhalten lobt.

Ein Großteil der Detektivromane und Polit-Thriller sind auf englisch geschrieben, letzt­endlich ist es ein englischsprachiges Genre. Die Sprachwahl spiegelt sich auch in der Atmo­sphäre von Personen und Handlung wider.

Die meisten Leser außerhalb des englischen Sprachraumes lesen die Romane als Über­setz­ungen. Es gibt gute und schlechte Übersetzungen; viele sind ein Ausverkauf des Ori­gi­nals, im wahrsten Sinne des Wortes. Übersetzer erhalten teilweise mehr für ihre Ar­beit bezahlt als der Autor für seine, und die Verleger feilschen um die Preise. Es muß schnell gehen und so billig wie möglich sein. Kaum einen Leser kümmert die literarische Qualität, solange der Inhalt verständlich und nicht zu entstellt ist. Das bezieht sich auf wörtliche Übersetzungen wie „French Window,“ was eine Terrassentür ist und kein fran­zö­si­sches Fenster, oder auf idiomatische Ausdrücke und Wortspiele, die oft nicht über­setz­bar, aber vielleicht übertragbar sind.

Ein gutes Beispiel ist Flemings James-Bond-Kurzgeschichte The Living Daylights. Der Titel hat nichts mit dem Tageslicht zu tun, sondern geht auf die Redensart "beat/scare the living daylights out of someone" zurück: jemandem eine tüchtige Tracht Prügel verabreichen (aber ihn nicht umbringen). The Living Daylights spielt auf den Ausgang der Geschichte an.

Der deutsche Titel war Der Hauch des Todes, was der Idee der englischen Wendung irgend­wo nahe kommt. Eine zweite Übersetzung war Duell mit doppeltem Einsatz, ein voll­kommen beziehungsloser Titel.

Bereits Umberto Eco hatte 1965 Probleme mit Übersetzungen in einem Aufsatz be­män­gelt. Er wählte dafür den ersten Satz aus Ian Flemings Goldfinger aus:

spaceholder blue  James Bond, with two double bourbons inside him, sat in the final departure lounge of Miami Airport and thought about life and death.

Ein einzelner eleganter Satz im Englischen wird im Italienischen zu:

spaceholder orange  James Bond stava seduto nella sala d‘aspetto dell‘aeroporto di Miami. Aveva già bevuto due bourbon doppi ed ora refletteva sulla vita e sulla morte.

… und im Deutschen:

spaceholder red  James Bond saß im Wartesaal des Flughafens von Miami. Er hatte zwei doppelte Bourbon getrunken und dachte jetzt über Leben und Tod nach.

Beide Übersetzungen sind ungenauer als das Original, und sie sind rau, ohne Grazie. Flemings Satz zeigt sprachliche Meisterschaft, die Übersetzungen eher nicht, obwohl sie flüssig und lesbar sind. Gute Übersetzer sollten talentierte Schriftsteller in ihrer ei­ge­nen Sprache sein, ohne den Respekt vor dem Original zu verlieren.

Es ist auch nicht so, dass „Neu­über­setzun­gen“ besser sind als solche, die vor meh­re­ren Jahr­zehn­ten gemacht wurden. Dasselbe gilt für Sekundärliteratur oder für Über­sichts­ar­tikel zum Beispiel in ‚Wikipedia‘ oder — digitale wie gedruckte — Buch­be­spre­chun­gen. Die Güte solcher Veröffentlichungen läuft parallel zur Ausbildung in Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten: fast überall hat die Qualität in den letzten dreißig Jahren rasant ab­ge­nom­men. Der Mangel an Wissen und Können, an Allgemeinbildung, der Kennt­nis von Geschichte und Geo­gra­phie sowie ein trauriger Dilettantismus sind of­fen­sicht­lich.

Allerdings meinte schon Arthur Schopenhauer vor gut zweihundert Jahren in Ueber Schriftstellerei und Stil:

spaceholder red  Kurzum, die Deutsche Sprache ist in die Hände des litterarischen Pöbels gerathen, und ich fordre alle denkende Gelehrten auf, sie zu retten. Allgemeine Anarchie herrscht: jeder Tintenklexer springt mit der Sprache um, wie es ihm gefallt, läßt Worte aus, schneidet Silben ab, setzt neue Wörter zusammen, gebraucht alte in einem falschen Sinn, und statt verdienter Züchtgung findet er Bewunderer und Nachahmer.

Viele fühlen sich berufen, aber wenige sind ausersehen. Sie wollen originell sein, aber sie sind eher erbärmlich.

Als Beispiel dazu können die beiden ersten Absätze von Raymond Chandlers The Little Sister — Die kleine Schwester dienen. Chandler war wahrscheinlich der poetischste der großen Autoren von Detektivgeschichten und -romanen. Auch er zeigte sprachliche Mei­ster­schaft. Die folgenden Zeilen zeigen es:

spaceholder blue  The pebbled glass door panel is lettered in flaked black paint: “Philip Marlowe … Investigations.” It is a reasonably shabby door at the end of a reasonably shabby cor­ri­dor in the sort of building that was new about the year the all-tile bathroom be­came the basis of civilization. The door is locked, but next to it is another door with the same legend which is not locked. Come on in — there’s nobody in here but me and a big bluebottle fly. But not if you're from Manhattan, Kansas.

 It was one of those clear, bright summer mornings we get in the early spring in Cali­for­nia before the high fog sets in. The rains are over. The hills are still green and in the valley across the Hollywood hills you can see snow on the high mountains. The fur stores are advertising their annual sales. The call houses that specialize in six­teen-year-old virgins are doing a land-office business. And in Beverly Hills the ja­ca­ran­da trees are beginning to bloom.

Die Übersetzung von Peter Fischer; Nest-Verlag/Ullstein (1966):

spaceholder red  An der Rauhglas-Türscheibe steht mit abblätternder schwarzer Farbe: „Philip Mar­lowe … Ermittlungen.“ Es ist eine ziemlich schä­bi­ge Tür am Ende eines ziemlich schä­bi­gen Korridors in ei­nem Gebäude von der Art, wie sie ungefähr in dem Jahr neu waren, als das ausgekachelte Badezim­mer zur Grundlage der Kultur wurde. Die Tür ist abgeschlossen, aber daneben ist noch eine Tür mit derselben Auf­schrift, die nicht abgeschlossen ist. Treten Sie nur näher — es ist niemand wei­ter drin als ich und eine dicke Brummfliege. Tun Sie es aber nicht, wenn Sie aus Manhattan in Kan­sas sind.

 Es war an einem jener hellen, klaren Sommermorgen, wie wir sie im Vorfrühling in Kalifornien ha­ben, ehe der hohe Nebel einsetzt. Die Zeit des großen Regens ist vor­bei. Die Hügel sind noch grün, und in dem Tal jenseits der Hügel von Hollywood kann man Schnee auf den hohen Bergen liegen sehen. Die Pelzgeschäfte werben für ihren Jahresausverkauf. Die Absteigehäuser, die auf sechzehn­jährige Jungfrauen spe­zia­li­siert sind, machen ein Bombengeschäft. Und in Beverly Hills beginnen die Ja­ca­ran­da­bäume zu blühen.

Dies ist eine ästhetische, fließende Übersetzung, die dem Original dicht folgt: Leichtigkeit und Eleganz in einfacher Sprache mit knappen Sätzen

Die Übersetzung von Robin Detje; Diogenes (2020):

spaceholder red  „Philip Marlowe … Ermittlungen“ steht in schwarzen Buchstaben auf dem Rif­fel­glas, und die Farbe blättert ab von der recht schäbigen Tür. Sie befindet sich am Ende eines recht schäbigen Flurs in der Sorte Haus, die modern war, als gerade das ganz­ge­flies­te Bade­zimmer zum Grundpfeiler der Zivili­sation erklärt wurde. Die Tür ist abgeschlossen, aber gleich daneben gibt es eine zweite mit der glei­chen Auf­schrift, die nicht abgeschlossen ist. Keiner zu Hause, nur ich und eine dicke Schmeiß­fliege — immer herein mit Ihnen: Aber nur, wenn Sie nicht aus Manhattan, Kansas kom­men.

 Es war einer dieser hellen, klaren sommerlichen Morgen, wie wir sie in Kalifornien im Vorfrühling kennen, bevor der Hochnebel kommt. Es regnet nicht mehr. Die Hügel sind noch grün, und vom Tal gegenüber den Hollywood Hills aus sieht man oben auf den Bergen den Schnee. Die Pelzgeschäfte machen Werbung für den Schlussverkauf, die auf sechzehnjährige Jungfrauen spezialisierten Freu­denhäuser boomen. Und in Be­ver­ly Hills knospen die Jacaranda-Bäume.

Dies ist eine Übersetzung voller grammatikalischer und teilweise den Inhalt ent­stel­len­der Fehler, holprig und unschön; sie folgt nicht der Poetik des Autors. Es wird nicht ganz klar, ob der Übersetzer versucht, Marlowe einen "working-class"-Anstrich zu geben oder Chandlers Sprache auf das Niveau zeitgenössischer deutscher Literatur her­ab­zu­schrau­ben. Er begreift auch nicht die Geographie von Los Angeles und seiner Um­ge­bung.

Der Ver­le­ger hat sich die Übersetzung wahrscheinlich nicht angeschaut, oder es fehlt ein Lektorat und eine Qua­li­täts­kon­trol­le im Verlag. Reputationen sind schnell rui­niert.

Dabei bleibt Englisch eine recht simple Sprache für Übersetzungen, zum Beispiel, ins Deutsche. Übersetzungen aus dem Französischen sind bei weitem schwieriger oder teil­weise unmöglich wegen der vielen Doppel- oder Dreifachdeutigkeiten und Wortspiele, die die Zutaten zu den meisten belletristischen Texten in französischer Sprache sind. Zudem sind sexuelle Anspielungen gang und gäbe; man kann sie in andere Sprachen teilweise aus gesellschaftlichen und ideologischen Gründen nicht ‚übersetzen‘.

Ich habe drei meiner Romane sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch geschrieben und der jeweiligen Sprache angepasst. Der Aufwand dafür ist groß und in einer ver­le­ge­ri­schen Routine kaum durchführbar — besonders wenn man sich bemüht, eine hohe li­te­ra­ri­sche Qualität zu erreichen.

Hier stellt sich die Frage, ob es eine ideale Sprache für Detektivromane gibt: de Cha­miers Wahl der Sprache für andere und weitere Bücher bleibt — Englisch (zugegeben: ge­le­gent­lich mit deutscher Übersetzung).

TurnPrevPage TurnNextPage

PAR_book

Peter de Chamier: Der Detektiv in der Li­te­ra­tur • Ein Essay zum Ei­gen­ge­brauch. 121 Seiten.
Dritte Auflage 2023 | e-Fassung
© 2023 by Peter de Chamier.

www.de-chamier.com


Inhalt

Vorstellung

Einführung
Die Vorläufer
Edgar Allan Poe
Sherlock Holmes
Holmes’ Nachfolger
Hercule Poirot
Blick nach Amerika
Kommissar Maigret
Hard-boiled
Und in Europa?
Made in Germany
Sex and Crime
Spionageromane
Epilog

Home Page
All Contributions


More books (in English) by Peter de Chamier — Click on the cover for more information:

PdC_Unnamed-Forces

PdC_Berlin-Export

PdC_Occident-Express

PdC_Stamp-Collector