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Spoerl-585

Heinrich Spoerl
Bücher haben ihr Schicksal

Ein ritter sô gelêret was, Daz er an den buochen las.

uch heute noch kann man ein guter Mensch sein und ein guter Krieger dazu und braucht sich des Lesens nicht zu schämen. Allerdings machen Bü­cher ge­bil­det, das läßt sich nicht ver­mei­den. Bildung ist Geistesreichtum, keine Tu­gend, aber eine Differenzierung. Und wer Bildung für ein Schimpfwort hält, meint ent­weder saure Trauben oder verwechselt Bildung mit Verbildung und geistiger In­fla­tion.

Es soll große Männer gegeben haben, die Zeit ihres Lebens kein anderes Buch kann­ten als Bibel und Feld­dienst­ordnung. Was besagt das? Nicht deshalb sind sie große Män­ner geworden, sondern trotzdem. Die Ver­ac­htung des Buches ist kein unfehlbarer Weg zur Größe.

Der Herzog von Devonshire, ein füh­ren­der eng­li­scher Liberaler um die Jahr­hun­dert­wende, soll nicht einmal gewußt ha­ben, wo sich in seinem Schloß der Eingang zur Bibliothek befand. Er war auch ohne Bücher genügend liberal. Außerdem war es auch schon etwas, daß er eine Bibliothek besaß, die er von einem Sekretär up to date halten ließ. Er bekam und be­zahl­te Bü­cher­rech­nun­gen und trug dazu bei, daß Bü­cher ge­schrieb­en und ge­druckt werden konn­ten, die die andern lasen.

Ich fragte einen mir als wohlhabend bekannten Herrn, was er von Büchern halte. Er erwiderte: »Ach, wissen Sie, man kommt ja nicht umhin. Schon wegen der Steuer muß man Bücher führen.«

spaceholder red  Wir leben in einer geistigen Neugeburt. Das Buch ist in aller Munde. Hoffentlich auch in aller Hand — und in aller Schrank.

Auf den Schrank kommt es an. Wir sind nicht wie die schnellebigen Franzosen, die ihre Bücher billig und broschürt kaufen und dann wegwerfen oder in der Unter­grund lassen. Wir haben Besitzgefühl, wir wollen das Buch nicht nur im Kopf, son­dern auch im Schrank. Bücher sind geistige Kapitalanlage. Wir wollen sie unsern Kin­des­kin­dern ver­erben, damit sie Ehr­furcht vor unserer Zeit bekommen und staunen, mit welch hohen Dingen der Großpapa sich bereits beschäftigt hat. Ich fürchte, es wird ihnen gehen wie uns mit den Büchern unserer Großväter: Staunen ja, kopf­schüt­teln auch, und lächeln, worüber man sich damals den Kopf zerbrach, Tränen lachen, wo damals die Tränen der Empfindsamkeit tropften. Die meisten Bücher sind zeit­ge­bun­den und für die Nach­welt bestenfalls Kuriosa. Nur die ganz Großen sind zeitlos, aber ob sie ganz groß sind, das kann man nie wissen, das sieht man erst, wenn sie zeit­los ge­wor­den sind. Nietzsche fand für sei­nen Zarathustra keinen Verleger. Aber da­rum ist nicht jeder, der keinen Verlag findet, ein Nietzsche. Und man kann auch mit Verlegern was werden.

Als eine englische Zeitung bei ihren Le­sern eine Um­frage hielt: Nennen Sie die bes­ten zehn Bücher der Weltliteratur — da antwortete Oscar Wilde: Die Frage könne er nicht beantworten, weil er erst drei Bücher geschrieben habe.

spaceholder red  Ein gutbürgerliche Bücherschrank be­steht teils aus Glas, teils aus Holz. Hin­ter Glas stellt man die Bücher, die man zeigt, wegen des Lederrückens, oder wegen der Kultur, Hölderlin, Spengler, Dante, Li-Tai-Po, Shaw und so weiter. Hinter Holz kom­men die andern — Namen will ich nicht nen­nen, das tut man nicht — ich meine die andern. Die man liest.

Ich muß mich berichtigen: Die Bücher, die man liest, kauft man sich nicht, man leiht sie für zwanzig Pfennig in der Bü­che­rei oder für lau bei seinen Bekannten. Nicht wahr? Wer ein Buch kauft, ist ver­däch­tig; er will es bestimmt verschenken. Bei Leihbüchereien ist das ungehörig, Leih­bü­cher kann man allen­falls weiter­ver­lei­hen, sie sind daran gewöhnt. Vielleicht tut der Nachmann wieder da gleiche, dann hat der Eigentümer einige Aussicht, sein Buch auf dem Wege einer Kreisleihe eine Tages zurückzubekommen und ein unerwartetes Wiedersehen zu feiern.

Leihbücher bekommt man nicht immer so zurück, wie man sie hergab. Man­che Le­ser kön­nen nicht lesen, ohne das Buch durch Unterstreichungen, Fragezeichen und Randbemerkungen zu bereichern. Das sind die verhinderten Lehrer; am liebsten hätten sie rote Tinte genommen. Eine andre Sorte, die Mißtrauischen, fangen das Buch von hinten an, sie wollen zu­erst ein­mal wis­sen, wie es ausgeht, schön, traurig oder mit happy end. Die Vonhinten-Leser sind zahlreicher, als man denkt, und durch­aus nicht nur weib­li­chen Ge­schlechts. Es würde sich lohnen, für sie besondere Bücher zu schreiben, die sich rück­wärts genau so lesen wie vorwärts, also wie das Wort Otto oder der Satz: Ein neger mit gazelle zagt im regen niE.

spaceholder red  Das Buch hat eine üble Eigenschaft, die weder durch Propaganda noch durch Notverordnung auszuräumen ist: Es kostet Geld. Nicht viel, aber immerhin. Wer arm ist, kauft zunächst Kartoffeln. Bücher kann man nicht essen, höchstens verschlingen. Die am meisten nach Büchern hungern, haben oft das wenigste Geld. Die kausale Reihenfolge ist ungewiß: Lesen sie, weil sie sonst nichts haben. Oder haben sie nichts weil sie lesen?

Unsere Zeit hat den Ausweg gefunden: Die Leih­büche­rei. Es ist vielleicht die Buch­hand­lung der Zukunft. Ich fürchte, daß es schon heute mehr Leih­leser gibt als Kauf­leser. Es ist ein Notbehelf. Man liest das eigene Buch mit mehr Liebe als das fremde, und die Trennung ist schwer. Aber es ist von zwei Übeln das kleinere: Besser ein Buch nicht besitzen, als nicht lesen.

Autoren und Buchhändler sollten sich darob nicht grämen. Auch die Leihbücherein müssen ihre Bücher kaufen und erneuern. Auch die Leihe verschleißt das Buch, viel­leicht jedesmal zu einem Dreißigstel, aber dafür gibt es vielleicht auch dreißigmal so viel Leihleser als Käufer. Und wenn wir ehrlich sein wollen: Das Buch ist nicht für den Autor und nicht für den Buchhandel da, auch nicht für den Bibliophilen und den Bü­cher­schrank. Sondern für den Leser.

Ein Herr, dem ich großen Idealismus nicht zugetraut hätte, gestand mit, er habe ein Lieb­lings­buch, das er ständig bei sich auf dem Herzen trage. Er nannte es das Buch der Bücher. Es war sein Scheckbuch.

spaceholder red  Der zweite Übelstand: Ein Buch beansprucht Zeit. Die Erwerbslosen haben sie über­flüssig, aber sie werden immer weniger. die andern müssen wirken und streben. Wann soll man lesen? Zum Frühstück hat man die Zeitung, im Büro wird es nicht gern gesehen, beim Mittagessen ist es ungehörig, nach Tisch muß man schlafen, am Abend hat man Kegelklub, Verein, Luftschutz und so weiter, Samstags muß man wandern, rudern Fußball treten, den Sonntag hat man besetzt und nebenbei auch eine Frau oder etwas Ähnliches. Also bitte? — Man kann die zeitlosen Leute aufs Glatteis führen. Man braucht sie nur zu einem guten Schoppen einzuladen oder zu einer fe­schen Autofahrt mit Gepäck; man wird erstaunt sein, wie schön sie Zeit haben.

Es ist nicht die Zeit. Es ist die Bequemlichkeit. Lesen ist geistige Arbeit; man muß das Buchstanbenbild zum Wort formen, aus dem Wort den Be­griff entwickeln, den Be­griff ins Bild übersetzen. Im Kino haben wir es bequemer, wir bekommen Bild und Hand­lung fix und fertig serviert, und die nötigen Geräusche und Stimmungsmusik oben­drein. Man braucht nichts zu tun, man kann sich nicht einmal wehren. Kino ver­wöhnt. Kino verdrängt das Buch.

Glücklicherweise nur das leichte Buch, das unterhält, ablenkt und die Zeit tot­schlägt. Das gehobene Buch ist nicht in Gefahr. Sein Wesen ist der Gedanke. Ge­dan­ken kann man nicht filmen.

Mir ist nicht bange ums Buch.

spaceholder red  Das Buch ist ein Schwert des Geistes. Es soll kämpfen, meinethalben auch mit Ka­no­nen schießen; in einer lauten Zeit werden leise Bücher überhört. Aber es soll nicht mit Platzpatronen knallen. Noch weniger mit Giftgas die Luft verpesten. Auch Trä­nen­gas halte ich fur unwürdig.

Viele Bücher kämpfen nicht, sondern tun nur so, sie ziehen die breite Heerstraße hinter­drein, mit Trommeln und Trompeten, gegen das, was längst besiegt und erledigt ist. Die haben es gut, da kann nicht viel passieren.

Dann schon lieber jene sanften Bücher für die sanften Leute, die ihre Ruhe haben wollen, überall und auch beim Lesen. Auch diese Bü­cher haben ihre Berechtigung, wenn sie einen ehrlichen Bedarf mit ehrlichen Mitteln befriedigen. Das sind die Bü­cher, die man überall liest, in der Straßenbahn, neben der Schreibmaschine, am Radio, insonderheit aber nach des Tages Last und Müh abends im Bett zum Ein­schlafen. Gute Nacht! end-black


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Heinrich Spoerl:
Bücher haben ihr Schicksal.

in: Heinrich Spoerl. Man kann ruhig darüber sprechen.
160 Seiten. Paul Neff Verlag Verlag. Berlin; 1937.


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Bücher und ihr Schick­sal

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