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Heinrich Spoerl
Bücher haben ihr Schicksal

ir saßen bei einem Espresso um einen der grünen Tische im Kleinen Café und gingen der Frage nach: „Welches Buch liest Du gerade?“ Die beliebtesten Genres waren Krimis oder Thriller, gefolgt von Sachbüchern. Aber dann folgte von rechts neben mir ein dumpfer Ausbruch:

Heinrich+Alexander Spoerl

„Wer liest denn heute noch Bücher — außer uns? Menschen über 50. Die jüngere Generation scheint in den Analphabetismus überzugehen. Sie sehen sich doch nur noch Filme oder Filmchen auf ihren Smart­phones an.“

„Oder sie haben kein Geld. Für sie gab es früher Leih­bib­lio­the­ken, wo man sich die Bücher ausleihen konn­te, die einen ansprachen.“

„Genau. Als Kind hab ich in rauen Mengen Bücher in der Jugendbücherei ausgeliehen. Ein, sogar zwei Bücher pro Tag waren kein Problem. Heute lese ich deutlich weniger: Krimis, Thriller, historische Romane, Sachbücher. Ich finde, Bücher entschleunigen den Tag und die Auseinandersetzung mit den sonst niederrasselnden Tatsachen, Mei­nun­gen und Ideen: sie prägen meine Betrachtung der Welt. Aber, soweit ich das über­blicken kann, liest in meinen Freundeskreis niemand mehr Bücher.“

„Ja, die anderen lesen das Facebuch.“

„Viele lesen auf dem Weg zur Arbeit und zurück nach Hause.“

„Wer sich fahren lassen kann — im Bus oder in der Bahn. Aber wer liest zu Hause?“

Wie war es vor fast hundert Jahren? Heinrich Spoerl erzählt es. Das Bild zeigt ihn mit seinem Sohn Alexander, der ebenfalls Bücher schrieb. Der Vater war war als Ro­man-, Büh­nen- Dreh­buch­au­tor und Feuille­to­nist ei­ner der grö­ß­ten Er­folgs­schrift­stel­ler der 1930er und 1940er Jah­re. Zu seinem Essay über "Bücher haben ihr Schicksal" schrieb der Autor in einer späteren Neuauflage — nach der Nazizeit in Deutschland:

„Einiges ist inzwischen gegenstandslos geworden, oder unverständlich, und mußte in einer Neuauflage wegfallen. Aber da die Menschen im wesentlichen noch dieselben sind wie damals, hat das meiste seine Gültigkeit behalten. Und manches, von dem sie glaub­ten und hofften, Abschied zu nehmen, scheint sogar wieder auf uns zu­zu­kommen.“


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Heinrich Spoerl:
Bücher haben ihr Schicksal.

in: Heinrich Spoerl. Man kann ruhig darüber sprechen.
160 Seiten. Paul Neff Verlag Verlag. Berlin; 1937.


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Vorstellung
Bücher und ihr Schick­sal

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