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William S. Schlamm
Über den Journalismus

WSS_cafe

uerst zu zweit, dann — nachdem wir drei weitere Stühle besorgt hat­ten — zu fünft hatten wir uns an einem Spät­som­mer­tag zum Aperitif im Kleinen Café ge­trof­fen. Wir be­rie­ten die Getränke und be­gan­nen dann die neuesten journalistischen Ge­rüch­te zu diskutieren.

Letztendlich landeten wir beim heutigen Jour­na­lis­mus im Allgemeinen.

Das Ansehen der Journalisten in der Ge­sell­schaft ist niedrig, sie werden ab­schä­tzig be­trach­tet — und das schon fast solange, seit es Zei­tun­gen gibt. Einer der am Tisch sitzenden Freun­de er­in­ner­te sich sogar an einen Aus­spruch aus dem 19. Jahrhundert von Ar­thur Scho­pen­hau­er: „Eine große Menge schlechter Schrift­stel­ler lebt allein von der Narrheit des Pub­li­kums, nichts le­sen zu wollen, als was heute gedruckt ist: die Journalisten; treffend be­nannt: verdeutscht wür­de es heißen Ta­ge­lö­hner.“ [Arthur Schopenhauer. Über Schrift­stel­le­rei und Stil. 1851.]

Er fuhr fort mit Karl Kraus’ Feldzug gegen die Presse; Kraus sprach von „Journaille“, „Tin­ten­strol­chen“, „Fang­hun­de der öf­fent­li­chen Mei­nung“, „Cor­rup­tions­presse“, „Preß­maf­fia“, „Preß­kö­ter“. Diese Be­zeich­nun­gen ziehen sich durch sein gesamtes Le­benswerk. Er wirft der Journaille vor, dass „bloß das, was zwischen den Zeilen steht, nicht be­zahlt“ sei.

Das Phänomen sei nicht neu und erstrecke sich auch auf weitere Kontrol­leure der öf­fent­li­chen Dinge und Meinungen: dass alles der Kritik durch die Presse ausgesetzt ist — mit Aus­nah­me der Presse selbst. Er verwies auf die Zahlung sogenannter „Pauschalien“ an Zeitungen, mit denen sich große Wirtschaftsunternehmen das Wohlverhalten dieser Zeitungen erkauften — und konnte einen Zusammenhang zwischen Angriffen einer Zeitung auf ein Unternehmen und deren Erlöschen nach der Schaltung einiger Inserate dieses Unternehmens belegen.

Sein Tischnachbar meinte, dass das doch jeder wisse. Und er ergänzte: „Sie sind träge, manchmal feige, und sie kennen die Fakten nicht. Wahrscheinlich ler­nen sie das auf ihren Jour­na­listen­schu­len, die wahrscheinlich we­gen des min­der­wer­ti­gen Schul­we­sens wie Spar­gel aus dem Boden schießen — dort ler­nen sie lesen, schreiben, rechnen, dem po­li­ti­schen Trend fol­gen und nett zu Poli­ti­kern und Ban­kern zu sein. Heute schreiben sie für eine lin­ke Zeitung, morgen für eine rechte Zei­tung — für rote, grüne und natürlich auch bunte Publikationen. Any­thing goes — alles ist mög­lich.“

Jemand am Tisch räusperte sich. „Das klingt alles wie Stammtischgerede. Vielleicht sollten wir auf den Boden fundierter Ar­gu­men­ta­tion zurückkehren.“

Und er fügte hinzu: „Ich erinnere mich an ei­nen Aufsatz zu diesem Thema von William S. Schlamm, in dem auch er Karl Kraus erwähnte. Vielleicht kann ich ihn finden.“

Er fand ihn …



Schlamm-portrait

William S. Schlamm (ur­spüng­lich Wil­helm Sieg­mund Schlamm; 1904–1978) ent­stamm­te einer jüdische Fa­mi­lie der oberen Mit­tel­schicht in Przemyśl, Ga­li­zien (Öster­reich-Un­garn). Schon früh wurde er Kom­mu­nist. Im Alter von 16 Jahren wurde er nach Mos­kau eingeladen, um Wladimir Lenin zu tref­fen. 1929 verließ er die Kom­mu­ni­sti­sche Par­tei und wurde 1932 Mit­ar­bei­ter der Zeit­schrift „Die Weltbühne“.

1938 emigrierte Schlamm nach New York, wo es ihm rasch ge­lang, als Journalist und Autor Fuß zu fassen. Er begann, für führende Me­dien wie die „New York Times“ und CBS-Radio zu ar­bei­ten, ehe er 1941 in Henry R. Luces Me­dien­un­ter­neh­men „Time Inc.“, das die großen Magazine „Time“, „Life“ und „For­tune“ im Portfolio führte, angestellt wurde und 1943 zu einem per­sön­li­chen Assis­ten­ten von Luce aufstieg. In einem 1940 ver­öf­fent­lich­ten Buch „This Second War of In­de­pen­dence“ warb Schlamm für ein un­nach­gie­bi­ges Vor­gehen gegen den NS-Staat, gegen eine Appeasement-Politik des Westens und für eine wehrhafte Demokratie; innere und äußere Feinde der Frei­heit sollten mit repressiven Maßnahmen und notfalls mit Waf­fen­ge­walt be­kämpft werden. Das Buch wurde zum Best­sel­ler und etablierte Schlamm als an­er­kann­ten Pub­li­zis­ten in den USA. Die „New York Times“ lobte seine Ge­gen­warts­di­agno­stik. Er wurde 1944 US-Staatsbürger.

1957 unternahm Schlamm eine rund ein­jäh­ri­ge Deutschlandreise. Seine Beo­bach­tun­gen mo­ti­vier­ten ihn zu dem Buch „Die Grenzen des Wunders“ (1959), das mit über 100.000 ver­kauf­ten Exemplaren zum Bestseller avan­cier­te. 1972 zog er nach Deutschland, veröffentlichte die Zeit­schrift „Die Zeit­bühne“ und war einige Zeit lang Ko­lum­nist für die Zeitung „Welt am Sonntag“. Er starb 1978 in Salz­burg.


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