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Peter A. Rinck: Klimatische Kurorte • Abschnitt 3

Kosten eines Kuraufenthalts

Verständlich wird der Wunsch nach Hilfe bei den Kosten allein schon, wenn man sich die Kos­ten für die An­rei­se aus dem Norden vor Augen führt. Um 1880 beispielsweise betrug der Preis einer Eisenbahnreise von Ber­lin an die französische Riviera zwischen 135 und 192 Mark.

Zum Vergleich dazu können die folgenden Preise dienen:

Ein Kilogram Brot kostete zur gleichen Zeit an der Riviera umgerechnet 0,50 Mark, ein Li­ter Milch eben­falls 0,50 Mark, ein Kilo Butter 4,35 Mark; wegen der geringen Löhne der Berg­ar­bei­ter waren zwei Zentner Steinkohle auch zum Preis von 4,35 Mark zu erhalten. Die Preise in Deutschland waren noch geringer: Hier kos­te­te ein Kilo Rog­gen­­brot 0,28 Mark, ein Liter Milch 0,20 Mark, ein Kilo Butter 2,20 Mark und zwei Zent­ner Stein­kohle 2,20 Mark. Ein Her­ren­an­zug war für 17 Mark zu haben.

Auf der anderen Seite verdienten ein Schlosser oder landwirtschaftlicher Arbei­ter lediglich eine Mark pro Tag, das Jahreseinkommen eines Brief­trägers belief sich auf 675 Mark, das­je­ni­ge einer Lehrerin auf 1100 und eines Lehrers auf 1700 Mark. Ein Professor erhielt im Jahr 3700 Mark, der Oberbürgermeister von Mün­chen 12000 Mark, eine Kammersängerin das Dop­pel­te, und ein Notar konnte das Dreifache verdienen.

Die Währungsverhältnisse und Umrechnungen der Währungen untereinander waren am En­de des neun­zehn­ten Jahrhunderts recht kompliziert. So äußerte sich Steiger in seinem Buch über Montreux als kli­ma­ti­scher Win­ter­auf­ent­halt folgendermaßen über die Zustände in der Schweiz:

»Die Schweiz rechnet seit 1850 nach französischen Franks (= 28 kr. Rheinisch oder 8 Sil­ber­gro­schen) zu 100 Centimes oder Rappen. Selbstgeprägtes Silbergeld hat sie in 5, 2, 1 und 1⁄2 Frankstücken, Schei­de­­mün­zen zu 20, 10, 5, 2 und 1 Centimes in Nickel, bezw. Kupfer. Ausserdem kursirt in Silber und Gold viel italienisches und fran­zö­si­sches Geld in 1⁄2, 1 und 2 Frankstücken, das gleichen Werth wie das Schweizergeld hat und al­lent­hal­ben ohne Schwierigkeiten an­ge­nom­men wird. Ausser Kurs sind so­ge­nann­te päpstliche Franks, sodann französische, die vor 1866, italienische, die vor 1863 und schwei­ze­ri­sche, welche vor 1860 geprägt wur­den. Ausländische Banknoten müs­sen umgewechselt werden.«

Figure08

Abbildung 8:
Vom Geldwechsel bis zu wasserdichten Mänteln, beides in der Wollzeile im Wiener 1. Bezirk:
Anzeigen aus Braumüller’s Bade­bibliothek, Jahrgang 1890-1891.

Der Aufenthalt am Kurort selbst verteuerte sich oftmals dadurch, dass der Kranke eine Un­ter­kunft für sich und seine Begleitung dort erst beschaffen muss­te. Erst die Errichtung gro­ßer Sanatorien und Hotels schaff­ten hier Abhilfe.

In den frühen Jahren der klimatischen Kur existierten noch kaum Hotels, häufig wurden nur einzelne Privatzimmer vermietet. Für einen Kranken, der allein reis­te, bedeutete dies, dass er mit dem Vermieter oder gar meh­re­ren Vermietern verhandeln musste, eine zu­sätz­li­che Belastung, die seiner Erholung bei der oh­nehin geschwächten Konstitution nach einer an­stren­gen­den und langen Reise kaum zuträglich sein konn­te. Außerdem hatte er für seine Klei­dung und seine Ernährung zu sorgen.

Später stiegen Einzelreisende meistens in Hotels oder in Pensionen ab, Fa­mi­li­en bemühten sich, für die Dauer ihres Aufenthaltes ein Haus zu mie­ten, in dem neben den Fa­mi­lien­mit­glie­dern auch die mit­ge­brach­te oder am Ort angeworbe­ne Dienerschaft untergebracht werden konnte.

Pauschalreisen, wie sie heute auch zu Kurorten üblich sind, veranstaltete für Touristen zum ersten Mal Tho­mas Cook mit seinem Reisebüro im Jahre 1845.


Verkehrsverbindungen über die Alpen

Die Reise in den Süden war, verglichen mit den heutigen Verhältnissen, um­ständlich und lang­wie­rig. In den sech­zi­ger und siebziger Jahren galt Wien mit seinem Ei­sen­bahn­kno­ten­punkt als beste Durchgangsstation für Ei­sen­bahn­­rei­sen in den Süden von Österreich-Ungarn und Italien, neben der Strecke über den Mont-Cenis-Pass im französischen Westen der Alpen.

Ergänzt wurden diese beide Eisenbahnlinien 1867 durch die Bren­ne­r­ei­sen­bahn, die den Sü­den Tirols mit dem Norden verband. Die Reisen zu den am meisten fre­quen­tier­ten Win­ter­sta­tio­nen machten nach der Mei­nung von Reimer (1881) »heutzutage keine Schwierigkeiten« mehr. So seien die Kur­or­te in Tirol und in der Schweiz in anderhalb bis höchstens vier Tagen zu erreichen und diejenigen im südlichen Frankreich und in Oberitalien in wei­te­ren zwei Ta­gen, dies von allen Punkten Deutschlands aus.

Wer allerdings vor 1882 aus Deutschland, Österreich oder der Deutsch­schweiz an den Lago Mag­gi­ore oder den Lago di Lugano gelangen wollte, war oftmals gezwungen, riesige Umwege auf sich zu nehmen und die Al­pen zu umgehen. Die Folge dieses Zustandes war es lange ge­we­sen, dass der schweizerische Kanton Tes­sin vom Tourismus und von Kurgästen noch voll­stän­dig unentdeckt war, als in Italien, in Südtirol, an der Ri­vi­era und im Westen Frankreichs be­reits die Grand Hôtels das Bild der Kurorte prägten. Noch im acht­zehn­ten Jahr­­hun­dert dau­er­te eine Reise von Basel nach Lo­car­no gut acht Tage. Teile des Weges wurden mit der Post­kut­sche, Teile mit dem Pferd und Schiff und zu Fuß bewältigt.

So verließ der Baseler Landvogt für das Maggiatal, Ernst Ludwig Burckhardt seine deutsch­schwei­zer Hei­mat­stadt zum Antritt seines Postens am 30. Juli 1734 und erreichte am 6. August Locarno. Allein bis zum Fuß des Gott­hard­pas­­ses benötigte er fünf Tage, einen wei­te­ren Tag zur Überquerung des Pas­ses, dann noch ein­mal zwei Tage bis Locarno.

Mit dem Ausbau der Straßen und Pässe war Lugano im neunzehnten Jahr­hundert mit der schweizerischen Post von Chur aus in 23 Stunden, von Lu­zern aus in 22 Stunden und seit Mitte der siebziger Jahre auch von Mai­land aus mit der Eisenbahn in dreieinhalb Stunden zu erreichen.

Der Zugang in die Südschweiz von Süden her aus der Lombardei über Verona und Mailand war das ganze Jahr über möglich, während der Übergang über die Pässe im Norden des Kantons im Herbst etwa von der zwei­ten Ok­to­ber­hälf­te an, im Winter und im Frühjahr oft­mals wegen der un­gün­sti­gen Wit­te­rung auf der Pass­höhe und wegen Schneeverwehungen un­mög­lich war.

Einer der heutzutage wichtigsten Alpenübergänge, der Sankt-Gotthard-Pass, gehörte noch im acht­zehn­ten Jahrhundert zu den weniger bedeutenden Päs­­sen. Er war wegen seiner Höhe von mehr als 2100 Metern nor­ma­ler­weise nur während einiger Monate des Jahres gangbar und bereits vor dem eigentlichen Aufstieg bei Andermatt in Reusstal wegen einer Felssperre sehr schwer zu­gänglich.

Um 1100 war es einem Schmied aus dem Ursenertal gelungen, an den steil abfallenden Fels­wän­den eine Hän­ge­brücke zu befestigen. Der Arzt J.G. Ebel, der um 1793 die Schweiz zu Fuß bereiste, schrieb über die­se Stelle:

»Nicht weit von dieser Brücke (I.e. die Teufelsbrücke über die Reuss) kömmt man an den Teufelsberg, durch den das Urnerloch geht. Am Anfang dieses Jahrhunderts noch gieng um diesen Felsen eine höl­zer­ne Brücke die an Kette hieng; I.J. 1707, liessen die Urseler durch Peter Moretini dieses Loch spren­gen, welches 200. F. lang, 12. F. breit und 15. F. hoch ist. So wie man aus demselben heraustritt, be­fin­det man sich in dem Ursern-Thal; in 1⁄4. St. kömmt man dann in das erste Dorf Ursern oder an der Matt.«

Figure09

Abbildung 9:
Oben: Die Teufelsbrücke in der Schöl­le­nen­schlucht. Zeitgenössische Dar­stel­lung von Gabriel Lory père (1763- 1840).
Unten: Das Urnerloch bei Andermatt von Norden. Aquarell um 1825 von Jacques-Henri Juillerat (1777-1860).

Figure10

Abbildung 10:
Simplonpaßstraße. Oben: »Die Gletschergalerie an der Simplon-Strasse« und »Galerie bei der Ganther­brücke«. Zeitgenössische Dar­stel­lun­gen von Gabriel Lory fils (1786-1852). Unten: »… die Straße ist mit schönen Brücken fort­ge­führt, deren Pfeiler neben den to­benden Gewässern sicher gegründet stehen.« (Karl Friedrich Schinkel, 1824).

Die Sprengung des Urnerloches hatte zwar den Übergang um einiges leich­ter gemacht, aber immer noch war der Südteil der Eidgenossenschaft zwi­schen Herbst und Frühjahr vom Norden fast voll­stän­dig ab­ge­schnit­ten. Ein Teil des Warentransports über den St. Gotthard erfolgte zwar während des Winters auf Schlit­ten, gezogen von Pferden und Stieren, aber einen re­gel­mäßigen Personenverkehr gab es nicht.

Der Zugang über den im Kanton Graubünden gelegenen Paß San Bernardino war ebenso um­ständ­lich und des­halb ohne Vorteil für die Region.

Den Simplonpaß zwischen dem Rhonetal und dem Lago Maggiore hatte Na­po­­le­on I. zwi­schen 1801–1805 in eine befestigte Paßstrasse ausbauen las­sen, um ihn für seine Artillerie be­fahr­bar zu machen. Seit dieser Zeit war der Sim­plon mit Postkutschen befahrbar. 1801 wurde auf Napoleons Befehl mit dem Bau des Sim­plon-Hos­pi­zes begonnen, und 1831 wurde er durch die Augusti­nerchorherren des Hospizes auf dem Grossen St. Bernhard voll­en­det.


Karte01

Karte 1:
Karte der wichtigsten klimatischen Kurorte und der Ei­sen­bahn­ver­bin­dun­gen, etwa 1880 — vor der Eröffnung der Gott­hard­li­nie. Pallanza und Lugano galten bereits als klimatische Kur­or­te, Lo­carno allerdings nicht.

Die Lage im Kanton Tessin

Bis zum Jahre 1803 war das Tessin als „Ennetbirgische Vogtey“ von der Deutsch­schweiz aus ver­wal­tet wor­den; erst zu diesem Zeitpunkt beschloß Na­poleon einen autonomen Kanton Tessin ins Leben zu rufen.

1848 wandelte sich die Eidgenossenschaft von einem Staatenbund in einen Bundesstaat. Die Bun­des­haupt­stadt Bern übernahm einige der Rechte, die bis­her bei den Kan­to­nen gelegen hatten. So verloren die Kan­to­ne unter an­de­rem auch ihre Zollautorität, eine Maß­nah­me, die den Kanton Tessin be­son­ders hart traf, da wenige Jahre später das Königreich Ita­lien die Süd­gren­ze des Kantons mit einer Zollbarriere ver­schloss, die den bisher flo­rie­ren­den Handel mit dem Süden stark einschränkte.

Im Gegensatz zu den Einheimischen brachte den Reisenden das neue Zollge­setz Vorteile. Stei­ger schrieb in seinem Buch über Montreux zu diesem Thema:

»An die Stelle der früheren so lästigen interkantonalen Zölle ist seit dem Jahre 1848 ein eid­ge­nös­sis­cher Grenz­zoll getreten, durch welchen übrigens Schweizreisende kaum be­läs­tigt werden, insoferne ih­re Reise­effekten nicht waarenmässig verpackt sind. Selbst wer seinen Bedarf an Cigarren mitbringt, ist an der Grenze keiner Gefahr der De­frau­da­tion ausgesetzt. Ueberhaupt wird den schweizerischen Zoll­be­dien­ste­ten in der Be­hand­lung der Passanten viel Takt nachgerühmt. Un­gleich strenger ist die Con­tro­le für die, wel­che die Schweiz verlassen und deut­sches, französisches oder italienisches Zoll­ge­biet betreten.«

Wegen der schlechten Verbindungen mit dem Norden war der Wa­ren­aus­tausch mit den übri­gen Kantonen von jeher äußerst schwierig, so dass sich die herr­schende Armut in den Tes­si­ner Tälern immer drückender be­merk­bar mach­te und sich viele Einwohner der schon Jahr­zehn­te andauernden Aus­wan­de­rer­be­­we­gung nach Übersee anschlossen. Wie er­schre­ckend die Ver­ar­mung der ein­heimischen Bevölkerung war, schilderte der Basler Landvogt Johann Fried­rich Leucht in einem Bericht aus dem Jahre 1767:

»Der grösste Theil der Einwohner dieser Vogtey [Luggarus = Locarno] sonder­heitlich in de­nen Thäleren ist sehr arm; es giebt Leüth da­run­der, die so gar arm sind, dass sie Wein­tree­ber dörren, so dann zu Pul­ver verstossen und anstatt des Mehls gebrauchen, bey anderen aber haben die Amts-Weibel ge­fun­den, dass sie Rüb-Schelleten gedört und hernach in Wasser gekocht. Auch denen etwas bemittelten Bau­ren dienen die Castanien oft für Brod.«


Verkehrstechnische Erschließung der italienischen Schweiz

Einen Lichtblick für die Südschweiz brachte das eidgenössische Ei­sen­bahn­ge­setz von 1852, das den Bau und Be­trieb von Schienenwegen »den Kan­to­nen, beziehungswei­se der Pri­vat­tä­tig­keit« überließ.

Eine Folge dieses Gesetzes war die Gotthardvereinigung, ein Konsortium, das plante, einen mehrere Ki­lo­me­ter langen Tunnel durch das Gott­hard­mas­siv zu treiben, um damit eine Ei­sen­bahn­ver­bin­dung zwischen dem Deut­schen Reich und dem Königreich Italien zu schaffen. Der Tunnel sollte die Reisezeit auf dieser Stre­cke um Tage verkürzen und außerdem den Vor­teil ha­ben, ganzjährig zur Verfügung zu stehen.

Dieses Vorhaben wurde innerhalb von zwanzig Jahren in die Wirklichkeit um­­ge­setzt und die Gott­hard­ei­sen­bahn­li­nie 1882 festlich eröffnet. Bel­lin­zo­na und Lugano erhielten Bahnhöfe für den Durchgangsverkehr, und nach Lo­carno führte eine Stichbahn mit einem Kopfbahnhof, vom dem aus di­rek­te Wagenver­bindungen nach Luzern, Zürich und Basel bestanden. So war end­lich ein direkter Zugang für Kurgäste und Touristen aus dem Norden geöffnet.


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Abbildung 11a:
Plakat der Schweizerischen Bun­des­bah­nen als Werbung für den Gott­hard­express, 1927.

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Abbildung 11b:
Plan der Gotthardlinie und Fahr­plan zur Eröffnung 1882.

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Abbildung 11c:
Wer wollte, konnte auch mit einem Postbus fahren; allerdings war dies nur an warmen und sonnigen Sommertagen ein Vergnügen.


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