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Verständlich wird der Wunsch nach Hilfe bei den Kosten allein schon, wenn man sich die Kosten für die Anreise aus dem Norden vor Augen führt. Um 1880 beispielsweise betrug der Preis einer Eisenbahnreise von Berlin an die französische Riviera zwischen 135 und 192 Mark.
Zum Vergleich dazu können die folgenden Preise dienen:
Ein Kilogram Brot kostete zur gleichen Zeit an der Riviera umgerechnet 0,50 Mark, ein Liter Milch ebenfalls 0,50 Mark, ein Kilo Butter 4,35 Mark; wegen der geringen Löhne der Bergarbeiter waren zwei Zentner Steinkohle auch zum Preis von 4,35 Mark zu erhalten. Die Preise in Deutschland waren noch geringer: Hier kostete ein Kilo Roggenbrot 0,28 Mark, ein Liter Milch 0,20 Mark, ein Kilo Butter 2,20 Mark und zwei Zentner Steinkohle 2,20 Mark. Ein Herrenanzug war für 17 Mark zu haben.
Auf der anderen Seite verdienten ein Schlosser oder landwirtschaftlicher Arbeiter lediglich eine Mark pro Tag, das Jahreseinkommen eines Briefträgers belief sich auf 675 Mark, dasjenige einer Lehrerin auf 1100 und eines Lehrers auf 1700 Mark. Ein Professor erhielt im Jahr 3700 Mark, der Oberbürgermeister von München 12000 Mark, eine Kammersängerin das Doppelte, und ein Notar konnte das Dreifache verdienen.
Die Währungsverhältnisse und Umrechnungen der Währungen untereinander waren am Ende des neunzehnten Jahrhunderts recht kompliziert. So äußerte sich Steiger in seinem Buch über Montreux als klimatischer Winteraufenthalt folgendermaßen über die Zustände in der Schweiz:
»Die Schweiz rechnet seit 1850 nach französischen Franks (= 28 kr. Rheinisch oder 8 Silbergroschen) zu 100 Centimes oder Rappen. Selbstgeprägtes Silbergeld hat sie in 5, 2, 1 und 1⁄2 Frankstücken, Scheidemünzen zu 20, 10, 5, 2 und 1 Centimes in Nickel, bezw. Kupfer. Ausserdem kursirt in Silber und Gold viel italienisches und französisches Geld in 1⁄2, 1 und 2 Frankstücken, das gleichen Werth wie das Schweizergeld hat und allenthalben ohne Schwierigkeiten angenommen wird. Ausser Kurs sind sogenannte päpstliche Franks, sodann französische, die vor 1866, italienische, die vor 1863 und schweizerische, welche vor 1860 geprägt wurden. Ausländische Banknoten müssen umgewechselt werden.«
Abbildung 8:
Vom Geldwechsel bis zu wasserdichten Mänteln, beides in der Wollzeile im Wiener 1. Bezirk:
Anzeigen aus Braumüller’s Badebibliothek, Jahrgang 1890-1891.
Der Aufenthalt am Kurort selbst verteuerte sich oftmals dadurch, dass der Kranke eine Unterkunft für sich und seine Begleitung dort erst beschaffen musste. Erst die Errichtung großer Sanatorien und Hotels schafften hier Abhilfe.
In den frühen Jahren der klimatischen Kur existierten noch kaum Hotels, häufig wurden nur einzelne Privatzimmer vermietet. Für einen Kranken, der allein reiste, bedeutete dies, dass er mit dem Vermieter oder gar mehreren Vermietern verhandeln musste, eine zusätzliche Belastung, die seiner Erholung bei der ohnehin geschwächten Konstitution nach einer anstrengenden und langen Reise kaum zuträglich sein konnte. Außerdem hatte er für seine Kleidung und seine Ernährung zu sorgen.
Später stiegen Einzelreisende meistens in Hotels oder in Pensionen ab, Familien bemühten sich, für die Dauer ihres Aufenthaltes ein Haus zu mieten, in dem neben den Familienmitgliedern auch die mitgebrachte oder am Ort angeworbene Dienerschaft untergebracht werden konnte.
Pauschalreisen, wie sie heute auch zu Kurorten üblich sind, veranstaltete für Touristen zum ersten Mal Thomas Cook mit seinem Reisebüro im Jahre 1845.
Die Reise in den Süden war, verglichen mit den heutigen Verhältnissen, umständlich und langwierig. In den sechziger und siebziger Jahren galt Wien mit seinem Eisenbahnknotenpunkt als beste Durchgangsstation für Eisenbahnreisen in den Süden von Österreich-Ungarn und Italien, neben der Strecke über den Mont-Cenis-Pass im französischen Westen der Alpen.
Ergänzt wurden diese beide Eisenbahnlinien 1867 durch die Brennereisenbahn, die den Süden Tirols mit dem Norden verband. Die Reisen zu den am meisten frequentierten Winterstationen machten nach der Meinung von Reimer (1881) »heutzutage keine Schwierigkeiten« mehr. So seien die Kurorte in Tirol und in der Schweiz in anderhalb bis höchstens vier Tagen zu erreichen und diejenigen im südlichen Frankreich und in Oberitalien in weiteren zwei Tagen, dies von allen Punkten Deutschlands aus.
Wer allerdings vor 1882 aus Deutschland, Österreich oder der Deutschschweiz an den Lago Maggiore oder den Lago di Lugano gelangen wollte, war oftmals gezwungen, riesige Umwege auf sich zu nehmen und die Alpen zu umgehen. Die Folge dieses Zustandes war es lange gewesen, dass der schweizerische Kanton Tessin vom Tourismus und von Kurgästen noch vollständig unentdeckt war, als in Italien, in Südtirol, an der Riviera und im Westen Frankreichs bereits die Grand Hôtels das Bild der Kurorte prägten. Noch im achtzehnten Jahrhundert dauerte eine Reise von Basel nach Locarno gut acht Tage. Teile des Weges wurden mit der Postkutsche, Teile mit dem Pferd und Schiff und zu Fuß bewältigt.
So verließ der Baseler Landvogt für das Maggiatal, Ernst Ludwig Burckhardt seine deutschschweizer Heimatstadt zum Antritt seines Postens am 30. Juli 1734 und erreichte am 6. August Locarno. Allein bis zum Fuß des Gotthardpasses benötigte er fünf Tage, einen weiteren Tag zur Überquerung des Passes, dann noch einmal zwei Tage bis Locarno.
Mit dem Ausbau der Straßen und Pässe war Lugano im neunzehnten Jahrhundert mit der schweizerischen Post von Chur aus in 23 Stunden, von Luzern aus in 22 Stunden und seit Mitte der siebziger Jahre auch von Mailand aus mit der Eisenbahn in dreieinhalb Stunden zu erreichen.
Der Zugang in die Südschweiz von Süden her aus der Lombardei über Verona und Mailand war das ganze Jahr über möglich, während der Übergang über die Pässe im Norden des Kantons im Herbst etwa von der zweiten Oktoberhälfte an, im Winter und im Frühjahr oftmals wegen der ungünstigen Witterung auf der Passhöhe und wegen Schneeverwehungen unmöglich war.
Einer der heutzutage wichtigsten Alpenübergänge, der Sankt-Gotthard-Pass, gehörte noch im achtzehnten Jahrhundert zu den weniger bedeutenden Pässen. Er war wegen seiner Höhe von mehr als 2100 Metern normalerweise nur während einiger Monate des Jahres gangbar und bereits vor dem eigentlichen Aufstieg bei Andermatt in Reusstal wegen einer Felssperre sehr schwer zugänglich.
Um 1100 war es einem Schmied aus dem Ursenertal gelungen, an den steil abfallenden Felswänden eine Hängebrücke zu befestigen. Der Arzt J.G. Ebel, der um 1793 die Schweiz zu Fuß bereiste, schrieb über diese Stelle:
»Nicht weit von dieser Brücke (I.e. die Teufelsbrücke über die Reuss) kömmt man an den Teufelsberg, durch den das Urnerloch geht. Am Anfang dieses Jahrhunderts noch gieng um diesen Felsen eine hölzerne Brücke die an Kette hieng; I.J. 1707, liessen die Urseler durch Peter Moretini dieses Loch sprengen, welches 200. F. lang, 12. F. breit und 15. F. hoch ist. So wie man aus demselben heraustritt, befindet man sich in dem Ursern-Thal; in 1⁄4. St. kömmt man dann in das erste Dorf Ursern oder an der Matt.«
Abbildung 9:
Oben: Die Teufelsbrücke in der Schöllenenschlucht. Zeitgenössische Darstellung von Gabriel Lory père (1763- 1840).
Unten: Das Urnerloch bei Andermatt von Norden. Aquarell um 1825 von Jacques-Henri Juillerat (1777-1860).
Abbildung 10:
Simplonpaßstraße. Oben: »Die Gletschergalerie an der Simplon-Strasse« und »Galerie bei der Gantherbrücke«. Zeitgenössische Darstellungen von Gabriel Lory fils (1786-1852). Unten: »… die Straße ist mit schönen Brücken fortgeführt, deren Pfeiler neben den tobenden Gewässern sicher gegründet stehen.« (Karl Friedrich Schinkel, 1824).
Die Sprengung des Urnerloches hatte zwar den Übergang um einiges leichter gemacht, aber immer noch war der Südteil der Eidgenossenschaft zwischen Herbst und Frühjahr vom Norden fast vollständig abgeschnitten. Ein Teil des Warentransports über den St. Gotthard erfolgte zwar während des Winters auf Schlitten, gezogen von Pferden und Stieren, aber einen regelmäßigen Personenverkehr gab es nicht.
Der Zugang über den im Kanton Graubünden gelegenen Paß San Bernardino war ebenso umständlich und deshalb ohne Vorteil für die Region.
Den Simplonpaß zwischen dem Rhonetal und dem Lago Maggiore hatte Napoleon I. zwischen 1801–1805 in eine befestigte Paßstrasse ausbauen lassen, um ihn für seine Artillerie befahrbar zu machen. Seit dieser Zeit war der Simplon mit Postkutschen befahrbar. 1801 wurde auf Napoleons Befehl mit dem Bau des Simplon-Hospizes begonnen, und 1831 wurde er durch die Augustinerchorherren des Hospizes auf dem Grossen St. Bernhard vollendet.
Karte 1:
Karte der wichtigsten klimatischen Kurorte und der Eisenbahnverbindungen, etwa 1880 — vor der Eröffnung der Gotthardlinie. Pallanza und Lugano galten bereits als klimatische Kurorte, Locarno allerdings nicht.
Bis zum Jahre 1803 war das Tessin als „Ennetbirgische Vogtey“ von der Deutschschweiz aus verwaltet worden; erst zu diesem Zeitpunkt beschloß Napoleon einen autonomen Kanton Tessin ins Leben zu rufen.
1848 wandelte sich die Eidgenossenschaft von einem Staatenbund in einen Bundesstaat. Die Bundeshauptstadt Bern übernahm einige der Rechte, die bisher bei den Kantonen gelegen hatten. So verloren die Kantone unter anderem auch ihre Zollautorität, eine Maßnahme, die den Kanton Tessin besonders hart traf, da wenige Jahre später das Königreich Italien die Südgrenze des Kantons mit einer Zollbarriere verschloss, die den bisher florierenden Handel mit dem Süden stark einschränkte.
Im Gegensatz zu den Einheimischen brachte den Reisenden das neue Zollgesetz Vorteile. Steiger schrieb in seinem Buch über Montreux zu diesem Thema:
»An die Stelle der früheren so lästigen interkantonalen Zölle ist seit dem Jahre 1848 ein eidgenössischer Grenzzoll getreten, durch welchen übrigens Schweizreisende kaum belästigt werden, insoferne ihre Reiseeffekten nicht waarenmässig verpackt sind. Selbst wer seinen Bedarf an Cigarren mitbringt, ist an der Grenze keiner Gefahr der Defraudation ausgesetzt. Ueberhaupt wird den schweizerischen Zollbediensteten in der Behandlung der Passanten viel Takt nachgerühmt. Ungleich strenger ist die Controle für die, welche die Schweiz verlassen und deutsches, französisches oder italienisches Zollgebiet betreten.«
Wegen der schlechten Verbindungen mit dem Norden war der Warenaustausch mit den übrigen Kantonen von jeher äußerst schwierig, so dass sich die herrschende Armut in den Tessiner Tälern immer drückender bemerkbar machte und sich viele Einwohner der schon Jahrzehnte andauernden Auswandererbewegung nach Übersee anschlossen. Wie erschreckend die Verarmung der einheimischen Bevölkerung war, schilderte der Basler Landvogt Johann Friedrich Leucht in einem Bericht aus dem Jahre 1767:
»Der grösste Theil der Einwohner dieser Vogtey [Luggarus = Locarno] sonderheitlich in denen Thäleren ist sehr arm; es giebt Leüth darunder, die so gar arm sind, dass sie Weintreeber dörren, so dann zu Pulver verstossen und anstatt des Mehls gebrauchen, bey anderen aber haben die Amts-Weibel gefunden, dass sie Rüb-Schelleten gedört und hernach in Wasser gekocht. Auch denen etwas bemittelten Bauren dienen die Castanien oft für Brod.«
Einen Lichtblick für die Südschweiz brachte das eidgenössische Eisenbahngesetz von 1852, das den Bau und Betrieb von Schienenwegen »den Kantonen, beziehungsweise der Privattätigkeit« überließ.
Eine Folge dieses Gesetzes war die Gotthardvereinigung, ein Konsortium, das plante, einen mehrere Kilometer langen Tunnel durch das Gotthardmassiv zu treiben, um damit eine Eisenbahnverbindung zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien zu schaffen. Der Tunnel sollte die Reisezeit auf dieser Strecke um Tage verkürzen und außerdem den Vorteil haben, ganzjährig zur Verfügung zu stehen.
Dieses Vorhaben wurde innerhalb von zwanzig Jahren in die Wirklichkeit umgesetzt und die Gotthardeisenbahnlinie 1882 festlich eröffnet. Bellinzona und Lugano erhielten Bahnhöfe für den Durchgangsverkehr, und nach Locarno führte eine Stichbahn mit einem Kopfbahnhof, vom dem aus direkte Wagenverbindungen nach Luzern, Zürich und Basel bestanden. So war endlich ein direkter Zugang für Kurgäste und Touristen aus dem Norden geöffnet.
Abbildung 11a:
Plakat der Schweizerischen Bundesbahnen als Werbung für den Gotthardexpress, 1927.
Abbildung 11b:
Plan der Gotthardlinie und Fahrplan zur Eröffnung 1882.
Abbildung 11c:
Wer wollte, konnte auch mit einem Postbus fahren; allerdings war dies nur an warmen und sonnigen Sommertagen ein Vergnügen.