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Die einzelnen klimatischen Kurorte in der Schweiz wurden von den Autoren der klimatologischen Untersuchungen in Sommer-, Mittel- und Übergangsstationen unterteilt, während die weiter südlich in Frankreich und Italien gelegenen Orte, die der Sonneneinstrahlung in den kalten Monaten stärker ausgesetzt waren, als Winterkurorte bezeichnet wurden.
Zu den Übergangs- oder Mittelstationen rechneten die Erholungsplätze in Südtirol, im Oberitalienischen Seengebiet und am Genfer See in der Westschweiz. Diese Gebiete stehen unter dem unmittelbaren Windschutz der Alpen, so dass die Temperaturen hier im Herbst, Winter und Frühling um zwei bis drei Grad über denen nördlich des Alpenkammes liegen. Dies bedeutet zwar nicht, daß man an diesen Orten ein südlich-mediterranes Klima vorfindet, aber immerhin ein Klima, das in den Monaten zwischen September und Mai zumeist angenehmer ist als das in den nördlichen Regionen Europas. Die absolute Luftfeuchtigkeit liegt niedriger als im Norden, und die Temperaturen sind kühl, jedoch nicht kalt.
In den frühen Jahren der klimatischen Kuren verweilte ein Großteil der Reisenden an den Übergangsstationen jeweils einige Wochen im Herbst, um anschließend die Reise in den Süden fortzusetzen, und umgekehrt einige Wochen im Frühjahr, um dann nach Deutschland oder in die jeweiligen Heimatländer zurückzureisen. Ein Schritt zum Ausbau der Übergangsstationen war der gewaltige klimatische Unterschied zwischen den italienischen und deutschen Regionen im Frühling. Während es in Italien bereits früh im Jahr sehr heiß werden kann, muss man hierauf in Deutschland meist bis spät ins Frühjahr hinein oder gar bis in den Juli warten.
Lindemann verwies darauf, daß die meisten Reisenden ihre Rückreise in den Norden zu früh anträten. Vor Juni sei in Deutschland nicht mit beständigem warmen Wetter zu rechnen, so dass es angeraten sei, sich im Mai an einer der Übergangsstationen zu akklimatisieren und erst später den Übergang über die Alpen zu unternehmen.
Sigmund meinte bereits 1859 hierzu:
»Die Rückreise aus dem Süden sollte niemals zu früh angetreten werden, als die meisten Curgäste im Vertrauen auf den schönen Mai in Mitteleuropa zu thun pflegen. Der Mai war von jeher nur den Malern und Dichtern d.h. der Phantasie schön, …«
Später wandelte sich das Bild der Übergangsstationen, und Orte wie Meran, Como, Lugano und Pallanza wurden auch als Winteraufenthalte populär, denn inzwischen hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Wärme nicht des eigentliche Ziel der therapeutischen Maßnahmen sein sollte, sondern daß sie nur Mittel zu dem Zweck sein konnte, sich mehrere Stunden am Tag im Freien an einer frischen und reinen Luft aufhalten zu können. Reimer umriss diese Entwicklung folgendermaßen:
»Wegen ihrer relativ niedrigen Wärmegrade hat man diese Kurorte als Übergangsstationen bezeichnet. Für manche Wärmebedürftige sind sie es in der That; diese finden dort im Herbst und Frühling bei gleichzeitigen Trauben- oder Molkenkuren ein vortreffliches Asyl. Aber schlechtweg ist ihr Wirkungskreis mit diesem Namen keineswegs genügend bezeichnet; denn Hunderte von Kranken bleiben dort den ganzen Winter und machen eine recht gute Kur, und wir kennen viele Norddeutsche, welche zu wiederholten Malen in Meran, Montreux etc. waren und immer wieder mit Vorliebe auf diese Orte zurückkommen.«
Wichtig für eine endgültige Bestimmung eines Ortes zum klimatischen Kurort ist das
»Mikroklima, das örtliche Klima, das bestimmt wird durch die Lage zu umliegenden Bergen, Gewässern, abhängig ist von der Größe und Richtung von Tälern, von der Flora der Umgebung, vom Windschutz und von vielen weiteren Einzelfaktoren.«
Besonders günstig seien die Übergangsstationen, urteilte Schreiber 1879, für solche Patienten, die aus dem hohen Norden stammten und sehr niedrige Temperaturen von dort gewohnt seien. Für sie wäre es ausgesprochen abträglich, in den tiefen Süden zu reisen, wo auch im Winter hohe Temperaturen auftreten, da sie diese Temperaturen nicht vertrügen. Denn der Kranke müsse wissen, dass man mit Sonne sein Leiden nicht heilen könne und dass auch sonnenlose und regnerische Tage, an denen er unter dem Schutz einer Wandelbahn oder eines Regenschirmes seine Runden im Freien ziehe, zur Heilung beitrügen.
Nach der Meinung der Kurärzte dieser Zeit bedeutete für viele die leichte Abhärtung, die sie den Orten im südlichen Alpengebiet erlebten, einen besseren Heilerfolg als der Aufenthalt an weiter im Süden gelegenen Ortschaften, die im Winter und insbesondere im Frühjahr wärmer und damit für den Körper weniger herausfordernd seien als die kühleren nördlichen Kurorte.
»Das Idealklima des kranken Menschen wäre wohl ein mäßig feuchtes, bzw. ein mäßig trockenes mit periodischen kräftigen Niederschlägen, sodaß die Staubentwicklung gerade hintangehalten wird, aber die Bodenfeuchtigkeit keinen zu hohen Grad erreicht und die Sonneneinwirkung gut zur Geltung kommt. An den Südhängen der Alpen scheint dieses Idealklima … sich bis zu einem gewissen Grade zu verwirklichen.«
Diese Feststellung van Oordts aus dem Jahre 1920 läßt sich durch die Anweisungen Klenckes in seinem Taschenbuch für Badereisende ergänzen.
Nach seiner Meinung muss zu der Auseinandersetzung des kranken Körpers mit dem Klima eine Änderung der Lebensgewohnheiten des Patienten treten, ohne die eine Kur nicht sinnvoll durchgeführt werden könne.
»… es genügt nicht, daß der Kranke in einem solchen Klima wohnt und lebt: er muß hier nicht als Tourist, Naturfreund oder zum Zwecke seiner Annehmlichkeiten, sondern ganz und gar seiner Gesundheit leben, in Diät, angemessener Bewegung und Ruhe, Tageseintheilung, Bekleidung, und dieselben den lokalen Verhältnissen anpassen.«
Den Behandlungserfolg der klimatischen Kur in allgemeinen machte Lebert in einem Essay über Vevey und die Bucht von Montreux am Genfer See von einer guten »Hygiene« als Grundbedingung abhängig. Lebert verstand unter Hygiene im klimatischen Sinne eine generelle Ruhe, den Aufenthalt an der frischen Luft mit viel Bewegung, gute und nahrhafte Kost und eine richtige psychische Behandlung des Patienten von seiten des Kurarztes aus.
Unter den Patienten bildeten die an Tuberkulose, zumeist an Lungentuberkulose Erkrankten den Hauptteil derer, die sich im neunzehnten Jahrhundert an klimatischen Kurorten aufhielten. Wie in der Inneren Medizin widmeten auch die Kurärzte und die wissenschaftlichen Autoren, die sich mit klimatischen Kuren beschäftigten, einen Großteil ihrer Betrachtungen dieser Krankheit. Clark hatte zwar bereits 1829 eine breite Palette von Erkrankungen beschrieben, bei denen er riet, England zu verlassen oder zumindest Orte an der britischen Küste aufzusuchen, und auch Helfft hatte 1868 eingeräumt:
»(Es) giebt eine große Anzahl anderer Krankheiten, bei welchen durch Aufenthalt in südlichen Breiten entweder dem Fortschreiten des pathologischen Processes Einhalt gethan oder die Heilung gefördert wird …«
Dennoch blieb die Tuberkulose das Hauptaugenmerk auch dieser Autoren. Eine Ausnahme bildeten hierbei die Kurorte im Oberitalienischen Seengebiet. Die Heilanzeigen für die Südschweiz und Oberitalien enthielten von Anfang an nicht nur die traditionellen Erkrankungen des tuberkulösen Kreises, sondern waren bereits auf weitere Krankheiten ausgerichtet. Carrière hob beispielsweise 1849 in seinem Buch über das Klima Italiens hervor, dass er den Comer See dem Lago Maggiore als Heilstätte für die Lungenschwindsucht vorziehe, dass jedoch der Lago Maggiore auf andere Erkrankungen durchaus einen positiven Einfluß habe:
»L’influence de son atmosphère, plus agitée, plus changeante, plus fraîche et plus tonique, exercerait une action favorable sur les catarrhes chroniques, les débilités générales et celles des organes de la digestion … il ne faut pas (cependant), laisser ici une lacune en oubliant la folie sous les formes paralytique et lypémaniaque.«
»Der Einfluss seiner unruhigeren, wechselhafteren, frischeren und tonischeren Atmosphäre sollte eine günstige Wirkung auf chronische Katarrhe, allgemeine Schwächen und die der Verdauungsorgane ausüben … man sollte (jedoch) hier auch Formen von Geisteskrankheiten wie die Paralyse und schwere Depression nicht vergessen.«
Eine ähnliche Auffassung vertrat Helfft 1866 zum Thema der Lungenschwindsucht:
»Weit weniger geeignet für an Lungenaffektionen leidende Kranke ist der Aufenthalt am Lago Maggiore …«
Neun Jahre später schrieb Klencke ebenfalls zur Behandlung von Lungenerkrankungen:
»Lago Maggiore, klimatische Kurlandschaft, ist weniger für Lungenkranke geeignet, als der Comersee, weil die umgebenden Berge nicht hoch genug sind, um vor Winden zu schützen …«
Später wurden diese Auffassungen teilweise wieder aufgegeben oder revidiert. Wahrscheinlich haben sich außer dem ersten Autor, der sich zu diesen Thema noch seine eigenen Gedanken machte, selbst nachforschte und aus eigener Erfahrung schrieb, die nachfolgenden Autoren nicht weiter mit dem Gegenstand beschäftigt, sondern kritiklos Carrières Ansichten übernommen. Helfft verwies in seinem Artikel in der Berliner klinischen Wochenschrift sogar direkt auf Carrière.
Für die Ufer des Lago Maggiore gab Helfft als weitere Indikationen die folgenden Erkrankungen an:
»Personen, welche an alten chronischen Bronchialcatarrhen, allgemeiner Schwäche nach überstandenen acuten Krankheiten leiden, sowie Anämischen und Chlorotischen mag … eine solche, mehr tonisirende, belebende Luft zusagen, und diesen dürfte ein längerer Aufenthalt in Baveno, Pallanza, Stresa, auch Isola Bella während des Spätsommers zu empfehlen sein.«
Biermann schlug eine Kur an den Oberitalienischen Seen im Herbst und Frühling als Prophylaxe gegen die Phthise bereits 1872 vor; er stand zwar mit dieser Indikationsstellung nicht alleine da, aber vorbeugende Maßnahmen gegen Erkrankungen gleich welcher Natur gehörten zu dieser Zeit noch selten zur Gesundheitsfürsorge; sie stellten eine neuen Aspekt bei der klimatischen Kur dar. Neben dieser Heilanzeige empfahl Biermann den Aufenthalt bei Rekonvaleszenz, chronischem Pharynxkatarrh, Laryngitis und Bronchitis am Lago Maggiore.
Knapp zehn Jahre später erschienen bereits die ersten detaillierten Indikationen für die Ortschaften Lugano, Pallanza und Locarno.
Abbildung 12:
Plakate für die Gotthardbahn, teilweise mit Landkarten und Fahrplänen, um 1900.