Header


Hinweis für Smartphone-Nutzer: Diese Website läßt sich am bes­ten auf einem gro­ßen Bild­schirm be­trach­ten und lesen.

Smartphone users please note: This website is best seen on a big screen.


Peter A. Rinck: Klimatische Kurorte • Abschnitt 4

Reisezeit und Einteilung der Kurorte

Die einzelnen klimatischen Kurorte in der Schweiz wurden von den Autoren der kli­ma­to­lo­gi­schen Un­ter­su­chun­gen in Sommer-, Mittel- und Über­gangs­sta­tionen unterteilt, wäh­rend die wei­ter südlich in Frank­reich und Italien gelegenen Orte, die der Son­nen­ein­strah­lung in den kal­ten Monaten stärker aus­ge­setzt waren, als Winterkurorte bezeichnet wur­den.

Zu den Übergangs- oder Mittelstationen rechneten die Erholungsplätze in Südti­rol, im Ober­ita­li­e­ni­schen Seen­ge­biet und am Genfer See in der West­schweiz. Diese Gebiete stehen un­ter dem unmittelbaren Wind­schutz der Alpen, so dass die Temperaturen hier im Herbst, Win­ter und Frühling um zwei bis drei Grad über denen nördlich des Alpenkammes liegen. Dies be­deu­tet zwar nicht, daß man an diesen Orten ein südlich-medi­ter­ra­nes Klima vor­fin­det, aber immerhin ein Klima, das in den Monaten zwischen Sep­tem­ber und Mai zu­meist an­ge­neh­­mer ist als das in den nördlichen Regionen Europas. Die absolute Luftfeuchtigkeit liegt nie­dri­ger als im Norden, und die Tem­pe­ra­tu­­ren sind kühl, jedoch nicht kalt.

In den frühen Jahren der klimatischen Kuren verweilte ein Großteil der Rei­sen­­den an den Über­gangs­sta­ti­o­nen jeweils einige Wochen im Herbst, um an­schlie­ß­end die Reise in den Sü­den fort­zu­set­zen, und um­ge­kehrt einige Wochen im Frühjahr, um dann nach Deutschland oder in die je­wei­li­gen Hei­mat­län­der zu­rück­zu­rei­sen. Ein Schritt zum Ausbau der Über­gangs­sta­ti­o­nen war der gewaltige kli­ma­ti­sche Unterschied zwi­schen den italienischen und deut­schen Regionen im Frühling. Während es in Italien bereits früh im Jahr sehr heiß wer­den kann, muss man hierauf in Deutschland meist bis spät ins Frühjahr hinein oder gar bis in den Juli war­ten.

Lindemann verwies darauf, daß die meisten Reisenden ihre Rückreise in den Norden zu früh anträten. Vor Juni sei in Deutschland nicht mit beständigem warmen Wetter zu rechnen, so dass es angeraten sei, sich im Mai an einer der Übergangsstationen zu akklimatisieren und erst später den Übergang über die Al­pen zu unternehmen.

Sigmund meinte bereits 1859 hierzu:

»Die Rückreise aus dem Süden sollte niemals zu früh angetreten wer­den, als die meis­ten Curgäste im Vertrauen auf den schönen Mai in Mitteleuropa zu thun pflegen. Der Mai war von jeher nur den Malern und Dichtern d.h. der Phantasie schön, …«

Später wandelte sich das Bild der Übergangsstationen, und Orte wie Meran, Como, Lugano und Pallanza wur­den auch als Winteraufenthalte populär, denn inzwischen hatte sich die Er­kennt­nis durchgesetzt, dass die Wärme nicht des eigentliche Ziel der therapeutischen Maß­nah­men sein sollte, son­dern daß sie nur Mit­tel zu dem Zweck sein konnte, sich mehrere Stun­den am Tag im Freien an einer frischen und reinen Luft auf­halten zu können. Reimer um­riss diese Ent­wicklung folgendermaßen:

»Wegen ihrer relativ niedrigen Wärmegrade hat man diese Kurorte als Über­g­angs­sta­tio­nen be­zeich­net. Für manche Wärmebedürftige sind sie es in der That; diese finden dort im Her­bst und Früh­ling bei gleich­zei­ti­gen Trauben- oder Molkenkuren ein vortreffliches Asyl. Aber schlecht­weg ist ihr Wir­kungs­kreis mit diesem Namen keineswegs genügend be­zeich­net; denn Hunderte von Kranken bleiben dort den ganzen Win­ter und machen eine recht gute Kur, und wir kennen viele Norddeutsche, welche zu wiederholten Malen in Meran, Montreux etc. waren und im­mer wieder mit Vorliebe auf diese Orte zu­rück­kom­men.«

Wichtig für eine endgültige Bestimmung eines Ortes zum klimatischen Kur­ort ist das

»Mikroklima, das örtliche Klima, das bestimmt wird durch die Lage zu umliegenden Ber­gen, Ge­wäs­sern, abhängig ist von der Größe und Rich­tung von Tälern, von der Flora der Um­ge­bung, vom Wind­schutz und von vielen weiteren Einzelfaktoren.«


Indikationen

Besonders günstig seien die Übergangsstationen, urteilte Schreiber 1879, für solche Pa­ti­en­ten, die aus dem hohen Norden stammten und sehr nie­dri­ge Tem­peraturen von dort ge­wohnt seien. Für sie wäre es aus­ge­spro­chen ab­träg­lich, in den tiefen Süden zu reisen, wo auch im Win­ter hohe Tem­pe­ra­tu­ren auftreten, da sie diese Temperaturen nicht vertrügen. Denn der Kran­ke müsse wissen, dass man mit Sonne sein Leiden nicht heilen könne und dass auch son­nen­lo­se und reg­ne­ri­sche Tage, an denen er unter dem Schutz einer Wan­del­bahn oder eines Regenschirmes sei­ne Runden im Freien ziehe, zur Heilung beitrügen.

Nach der Meinung der Kurärzte dieser Zeit bedeutete für viele die leichte Ab­härtung, die sie den Orten im südlichen Alpengebiet erlebten, einen bes­se­ren Heilerfolg als der Auf­ent­halt an weiter im Süden ge­le­ge­nen Ort­schaf­ten, die im Winter und insbesondere im Frühjahr wär­mer und damit für den Körper weniger her­aus­for­dernd seien als die kühleren nördlichen Kur­or­te.

»Das Idealklima des kranken Menschen wäre wohl ein mäßig feuchtes, bzw. ein mäßig tro­cke­nes mit pe­rio­di­schen kräf­ti­gen Niederschlägen, sodaß die Staub­entwicklung ge­ra­de hint­an­ge­hal­ten wird, aber die Bo­den­feuch­tig­keit keinen zu hohen Grad erreicht und die Son­nen­ein­wir­kung gut zur Geltung kommt. An den Südhängen der Alpen scheint die­ses Idealklima … sich bis zu einem gewissen Grade zu ver­wirk­li­chen.«

Diese Feststellung van Oordts aus dem Jahre 1920 läßt sich durch die An­wei­­sun­gen Klenckes in seinem Taschenbuch für Badereisende er­gän­zen.

Nach seiner Meinung muss zu der Auseinandersetzung des kranken Körpers mit dem Klima eine Änderung der Lebensgewohnheiten des Patienten tre­ten, ohne die eine Kur nicht sinn­voll durchgeführt werden kön­ne.

»… es genügt nicht, daß der Kranke in einem solchen Klima wohnt und lebt: er muß hier nicht als Tou­rist, Na­tur­freund oder zum Zwecke sei­ner Annehmlichkeiten, son­dern ganz und gar seiner Gesundheit le­ben, in Diät, angemessener Bewegung und Ruhe, Ta­ges­ein­thei­lung, Be­klei­dung, und dieselben den lo­ka­len Ver­hält­nis­­sen anpassen.«

Den Behandlungserfolg der klimatischen Kur in allgemeinen machte Lebert in einem Essay über Vevey und die Bucht von Montreux am Genfer See von einer guten »Hygiene« als Grund­be­din­gung abhängig. Lebert verstand unter Hygiene im klimatischen Sinne eine generelle Ruhe, den Aufenthalt an der frischen Luft mit viel Bewegung, gute und nahrhafte Kost und eine richtige psychische Be­handlung des Patienten von seiten des Kurarztes aus.

Unter den Patienten bildeten die an Tuberkulose, zumeist an Lun­gen­tu­ber­ku­lo­­se Er­krank­ten den Hauptteil derer, die sich im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert an kli­­ma­ti­schen Kur­orten auf­hiel­ten. Wie in der In­ne­ren Medizin wid­me­ten auch die Kurärzte und die wis­sen­schaft­li­chen Au­to­ren, die sich mit klimatischen Kuren beschäftigten, einen Großteil ihrer Be­trach­tun­gen die­ser Krankheit. Clark hatte zwar bereits 1829 eine breite Palette von Erkrankungen be­schrie­­ben, bei denen er riet, England zu verlassen oder zumindest Orte an der bri­tischen Küs­te aufzusuchen, und auch Helfft hatte 1868 eingeräumt:

»(Es) giebt eine große Anzahl anderer Krankheiten, bei welchen durch Aufent­halt in süd­li­chen Breiten ent­we­der dem Fortschreiten des pa­tho­lo­gi­schen Pro­cesses Einhalt gethan oder die Heilung gefördert wird …«

Dennoch blieb die Tuberkulose das Hauptaugenmerk auch dieser Autoren. Eine Ausnahme bil­de­ten hierbei die Kurorte im Oberitalienischen Seen­ge­biet. Die Heilanzeigen für die Süd­schweiz und Oberitalien ent­hiel­ten von Anfang an nicht nur die traditionellen Erkrankungen des tuberkulösen Krei­ses, sondern waren be­reits auf weitere Krankheiten aus­gerichtet. Car­rière hob beispielsweise 1849 in seinem Buch über das Kli­ma Ita­liens hervor, dass er den Co­mer See dem Lago Maggiore als Heilstätte für die Lun­gen­schwind­sucht vor­ziehe, dass je­doch der Lago Maggiore auf andere Er­krankungen durchaus einen positiven Einfluß habe:

»L’influence de son atmosphère, plus agitée, plus changeante, plus fraîche et plus to­ni­que, exercerait une action favorable sur les catar­rhes chroniques, les débilités gé­né­ra­les et celles des organes de la di­ges­tion … il ne faut pas (ce­pendant), laisser ici une la­cu­ne en oubliant la folie sous les formes paralytique et lypémaniaque.«

»Der Einfluss seiner unruhigeren, wechselhafteren, frischeren und tonischeren At­mos­phäre sollte eine günstige Wirkung auf chronische Katarrhe, allgemeine Schwächen und die der Verdauungsorgane aus­üben … man sollte (jedoch) hier auch Formen von Geis­tes­krank­hei­ten wie die Paralyse und schwere De­pres­sion nicht vergessen.«

Eine ähnliche Auffassung vertrat Helfft 1866 zum Thema der Lun­gen­schwind­sucht:

»Weit weniger geeignet für an Lungenaffektionen leidende Kranke ist der Auf­enthalt am Lago Mag­gi­ore …«

Neun Jahre später schrieb Klencke ebenfalls zur Behandlung von Lun­gen­er­­kran­kungen:

»Lago Maggiore, klimatische Kurlandschaft, ist weniger für Lun­gen­kran­ke ge­eignet, als der Comersee, weil die umgebenden Berge nicht hoch genug sind, um vor Winden zu schützen …«

Später wurden diese Auffassungen teilweise wieder aufgegeben oder re­vi­diert. Wahr­schein­lich haben sich au­ßer dem ersten Autor, der sich zu diesen Thema noch seine eigenen Ge­dan­ken machte, selbst nach­for­schte und aus eigener Erfahrung schrieb, die nachfolgenden Au­to­ren nicht weiter mit dem Gegen­stand be­schäf­tigt, sondern kritiklos Carrières Ansichten über­nom­men. Helfft verwies in seinem Artikel in der Ber­li­ner klinischen Wo­chen­schrift sogar direkt auf Carrière.

Für die Ufer des Lago Maggiore gab Helfft als weitere Indikationen die fol­gen­­den Er­kran­kun­gen an:

»Personen, welche an alten chronischen Bronchialcatarrhen, all­ge­mei­ner Schwäche nach über­stan­de­nen acuten Krankheiten leiden, sowie Anämischen und Chlorotischen mag … eine solche, mehr to­ni­si­ren­de, belebende Luft zusa­gen, und diesen dürfte ein län­ge­rer Aufenthalt in Baveno, Pallanza, Stresa, auch Isola Bella während des Spät­som­mers zu empfehlen sein.«

Biermann schlug eine Kur an den Oberitalienischen Seen im Herbst und Früh­ling als Pro­phy­laxe gegen die Phthi­se bereits 1872 vor; er stand zwar mit die­ser Indikationsstellung nicht al­lei­ne da, aber vorbeugende Maß­nah­men gegen Erkrankungen gleich welcher Natur gehörten zu dieser Zeit noch selten zur Ge­­sund­heits­für­sor­ge; sie stellten eine neuen Aspekt bei der kli­ma­ti­schen Kur dar. Neben dieser Heilanzeige empfahl Bier­mann den Auf­ent­halt bei Re­kon­va­les­­zenz, chronischem Pharynxkatarrh, Laryngitis und Bronchitis am Lago Maggio­re.

Knapp zehn Jahre später erschienen bereits die ersten detaillierten In­di­ka­tio­nen für die Ortschaften Lu­ga­no, Pal­lan­za und Locarno.


Figure12

Abbildung 12:
Plakate für die Gotthardbahn, teilweise mit Landkarten und Fahrplänen, um 1900.


  Go to top

TurnPrevPage TurnNextPage