Header

Peter de Chamier: Der Detektiv in der Literatur • Kapitel 3

Edgar Allan Poe, der Vater der Detektivgeschichte

Der Kriminalroman handelt vom logischen Denken. Er steht dem Kreuzworträtsel nahe, was das betrifft.

Berthold Brecht. Über die Popularität des Kriminalromans. 1938.


er eigentliche Vater der Detektivlite­ratur, Edgar Allan Poe, kannte Vidocqs Mé­moi­res und wurde durch sie beeinflußt. Poe schuf ein neues Gen­re — die in der Ein­­füh­rung be­schrie­bene De­tek­tiv­ge­schich­te (de­tec­ti­ve story), wie sie Anne Ca­the­rine Green 1883 benannte.

Poe wurde 1809 in Boston geboren. Er ar­beitete unter anderem als Jour­na­list und Li­te­ra­tur­­kri­ti­ker, schrieb aber auch Kurzgeschichten. Seine wahrscheinlich berühmteste Kriminalkurzgeschich­te wurde 1841 in Gra­hams Magazine veröffentlicht: The Murders in the Rue Morgue (Der Dop­pel­mord in der Rue Morgue).

Die Geschichte beginnt mit der Entdeckung der brutalen Ermordung einer alten Frau und deren Tochter. Der Mörder entkam, obwohl die Wohnung der Frau von innen völlig ver­schlos­sen zu sein scheint. Der vorneh­me, aber ver­armte Chevalier Auguste Dupin und sein namenloser Freund, der die Ge­schichte erzählt, helfen der Polizei und iden­ti­fi­zie­ren durch eine brillante Inter­pretation der Hin­weise am Tatort den Mörder — einen ent­flo­he­nen Orang-Utan.

spaceholder red  Im Frühjahr und Sommer 18…, anlässlich meines damali­gen Aufenthalts in Paris, lernte ich einen gewissen Chevalier Au­guste Dupin kennen. Dupin war der Ab­kömm­ling einer gu­ten, ja sogar berühmten Familie, hatte aber durch seine völ­lige Ver­ar­mung alle Strebsamkeit und Energie verlo­ren …

 Zum ersten Mal trafen wir uns in einer kleinen Buch­handlung in der Rue Mont­matre, wo uns der Zufall, daß wir nach demselben seltenen Buch fragten, näher zu­sam­men­f­ühr­te. Seine große Belesenheit setzte mich in Erstaunen, und was die Haupt­sache war, die Frische und die wilde Glut, die seine Phantasie entflammte. Ich spür­te, daß die Gesellschaft eines solchen Menschen für mich ein Schatz von unschätz­barem Wert sein wür­de. Schließ­lich vereinbarten wir, daß wir, solange ich noch in der Stadt blieb, zusammen wohnen wollten, und da meine Fi­nanzen geordneter wa­ren als die seinen, mietete ich in ei­nem sehr abgelegenen Teil des Fau­bourg St. Germain ein altes verlassenes Haus, das grotesk anzusehen war. Ich möblierte dieses Haus in einer Weise, wie sie unserer phantas­tisch düsteren Gemütsstimmung ent­sprach …

 Zu den phantastischen Grillen meines Freundes gehör­te seine Schwär­merei für die dunk­le Göttin der Nacht, die uns nicht dauernd mit ihrer Gegen­wart beglücken konn­te; doch es war ja möglich, sie auf künstliche Weise herbei­zurufen. Beim Auf­ge­hen der ersten Sonnenstrahlen schlo­ßen wir sämtliche schweren Fensterläden des alten Ge­­bäu­des, zün­deten ein paar wohlriechende Kerzen an, die nur ein mattes, gei­ster­haf­tes Licht gaben und versenkten uns in Träumereien, lasen, schrieben oder plau­der­ten …

 Ich hatte öfter Gelegenheit, Dupins ausgeprägtes Analys­iertalent zu be­wundern. Es machte ihm große Freude, wenn er sich darin üben konnte, und er versuchte diese Freude nicht zu verbergen. Unter leisem Kichern rühmte er sich, daß es ihm möglich wäre, den meisten Menschen, wie durch ein Fenster, ins Innere zu sehen. Er pflegte mir den Beweis dafür niemals schuldig zu bleiben …

Man spürt in diesem Text deutlich die Einflüsse der Gothic Novel, die mit ihren Schau­er­ge­schich­ten viele von Poes Wer­ken beeinflußte.

Die exzentrische Gestalt des Chevalier Dupin bestimmte für fast ein Jahr­hundert den Typ des Detektivs und die Spezies der Kriminalliteratur. Mit Dupin schaffte Poe einen für die Literatur neuen Menschentyp, und in den fünf Kri­­mi­nal­kurz­ge­schich­ten, die er ver­faß­te, prägte er die Merk­male dieser Gattung, die die Schriftsteller erst in der Zeit Ches­ter­tons und Christies zu verändern begann­en.

Poe bringt das erste Kryptogramm und den ersten locked-room-Fall; in The Purloined Letter — Der gestohlene Brief läßt er Dupin erfolgreich seine Idee, daß — wenn alle ande­ren Möglichkeiten ausgeschlossen sind — eine übrigblei­ben muß, die die richtige sein muß, scheint sie vielleicht auf den er­sten Blick auch vollkommen un­möglich; in Thou Art the Man! — Du bist der Mann! entpuppt sich schließlich die am wenigsten wahr­schein­li­che Person als der Mörder.

Poe war Rationalist. Das ist unschwer aus seinen Kurzge­schichten zu erken­nen, die er zu allem Überfluß tales of rati­ocination benannte — Geschichten der vernunftmäßi­gen Er­kenntnis.

Schon 1836 hatte er in einem Artikel über Maelzels schachspielenden Türken — eine Schachmaschine, deren Funktionieren viele von Poes Zeitgenossen ebenfalls be­schäftigte — und später über den Mord an der Neuyorker Verkäu­ferin Mary Cecilia Rogers, ein Fall, der sich unter dem Titel The Mystery of Marie Rogêt in seinen Kriminalges­chichten wiederfindet, die Überzeugung ver­treten, daß die Logik Grundlage jeder Handlung sei. Er ging davon aus, daß ein Mensch, der logisch denkt, konse­quenterweise auch seine Handlungen in logischer Abfol­ge ausführen müsse.

Nach diesem Schema geht auch Dupin vor, den er zu fünfzig Prozent aus Ratio und zu fünfzig Prozent aus Vidocq zusammenb­astelte, wenn er auch den Chevalier in The Murders in the Rue Morgue in überheblicher Weise erklären läßt:

spaceholder red  „Vidocq, zum Beispiel, hatte die richtige Nase und war ein ausdauernder Mann. Aber, da er logisches Denken nicht ge­lernt hatte, irrte er fast stän­dig, und zwar gerade durch sein ungestümes Drauflosforschen. Er war all­zu gründ­lich.“

Wie kommt Dupin nun zu seinen Resultaten? Lassen wir ihn das in einem Bei­spiel selbst darlegen.

Mit seinem Freund streicht er eines Nachts durch die Straßen von Paris. Lan­ge Zeit gehen sie schweigend neben­einander her. Plötzlich sagt Dupin anschei­nend voll­kommen grundlos:

spaceholder red  „Es stimmt. Der Kerl hat eine winzige Figur und würde besser in das Théatre des Variétés pas­sen.“

Verdutzt stimmt sein Beglei­ter zu. Er hatte gerade daran gedacht, daß Chantilly, ein ehemaliger Flickschust­er, der den Xerxes in einer Tragödie gespielt hatte, für diese Rolle ab­solut un­tauglich war. Doch wie war der Chevalier auf seinen Gedan­kengang gekommen? Dupin erklärt ihm das folgenderma­ßen:

spaceholder red  “Wenn ich mich recht erinnere, hatten wir in der Rue … zuletzt über Pfer­de ge­spro­chen. Dann bogen wir hier ein; ein Obsthändler mit einem großen Korb auf dem Kopf, der an uns vorbei hastete, stieß dich gegen einen Haufen Pflas­tersteine, die man dort zusammengetragen hatte, um die Straße zu reparieren. Auf einem der lose daliegenden Steine rutsch­test du ab und knicktest dir den Fuß ein we­nig um. Beim Weitergehen hat­test du deinen Blick auf den Boden geheftet und sahst die Löcher und ausgefahre­ne Stellen mit trotziger Miene an, bis wir an der kleinen, nach La­mar­tine benannten Seitengasse an­gelangten, in der man versucht hat­te, die neuen Steine als Pflaster zu benutzen und zwar so, daß sie übereinand­er greifen und sich ge­gen­sei­tig fest­halten. Hier hellte sich deine Miene auf — ich sah, daß deine Lippen sich be­weg­­ten und war überzeugt, dass du das Wort Stereo­tomie murmeltest, denn mit diesem Namen hatte man unbe­rechtigterweise das neue Pflaster belegt. Nun wußte ich, daß es dir wohl kaum möglich sein würde, das Wort Stereo­tomie auszu­sprechen, ohne von da aus auf die Ato­me und fol­gernd auf die Atomlehre des Epikur zu kom­men, um so weniger, als unsere Debatten über diese Theorien der jüngs­ten Ver­gan­gen­heit an­ge­hören. Dabei hatte ich dich darauf aufmerksam gemacht, in wie ho­hem Maße die Vermutun­gen jenes Griechen durch die neuere Kosmolo­gie, besonders durch die Untersuchung­en des Dr. Nichols über Ne­bel­fle­cke, ihre Bestätigung gefunden hat­ten, und ich erwartete nun, daß du deine Augen zu dem großen, dir bekannten Ne­­bel­fleck im Ori­on auf­schla­gen würdest. Und so geschah es denn auch, und ich sah, daß ich bis da­hin deinen Gedanken Schritt für Schritt gefolgt war. In der bitterbösen Ti­ra­de über Chan­til­ly aber, die im gestri­gen Musée erschien, machte der Satiriker ei­nige entehrende Anspielungen auf die Na­mensänderung des Schusters, der den Ko­thurn des Schau­spie­lers anzog, und zitierte einen lateini­schen Vers, über die wir oft ge­­spro­chen haben. Ich meine die Zei­le:

 „Perdidit antiquum lite­ra prima sonum“ — „Der erste Buchstabe hat den alten Klang verloren“.

 Ich habe dir bei dieser Gelegenheit erzählt, daß mit dem ersten Buchsta­ben, der seinen alten Klang verlor, das er­ste O in Orion gemeint sei, weil man früher Urion ge­schrieben habe. Damit stand es für mich fest, daß du die Begriffe Ori­on und Chantilly verbinden mußtest; daß du es auch ta­test, konnte ich an dem Lächeln sehen, das dei­ne Lippen um­spielte — du dachtest an die literarische Hin­richtung des ar­men Schus­ters.

 Bis dahin war dein Gang nachlässig und gebückt; jetzt aber richtetest du dich in der ganzen Höhe auf, und nun war ich sicher, daß du an die zwergenhafte Gestalt Chantil­lys dachtest, und weckte dich durch meine Äu­ßerung aus den Grübeleien, daß er allerdings ein besonders kleiner Kerl sei und sich besser für das Théatre des Variétés eig­nen würde.“

Wie bei der Erforschung der Gedankengänge seines Freun­des, so geht Dupin auch bei der Aufklärung von Ver­brechen vor. Er sammelt Indizien, indem er sich an den Tat­ort begibt und dort seine ungewöhnliche, unglaub­liche Beobachtungsg­abe unter Beweis stellt, indem er Zeitungsarti­kel zu Rate zieht und sie aufs genauste ver­gleicht wie in The Mystery of Marie Rogêt, wo nur auf­grund von Zeitungsarti­keln argu­mentiert wird, oder in­dem er sich mit beteiligten Personen unterhält.

Es scheint, als ordne er, was er findet, in eine Theorie ein, die er bereits vorher ent­wickelt hat. Wie bei einer mathe­matischen Induktion geht er von einer Hypothese aus, erhär­tet diese durch die gefundenen Indizien und versucht sich endlich in die Gestalt des Täters hineinzu­versetzen und des­sen Taten konse­quent durchzugehen.

Bezeichnend hierfür ist die Kurzgeschichte The Purloi­ned Letter, in der der Täter, ein französischer Minister, der eine Erpressung mit ei­nem gestohlenen Brief einzu­leiten beginnt, schon von vornherein bekannt ist. Dupin versetzt sich in die Lage des Ministers und erkennt schließlich:

spaceholder red  „Je mehr ich aber über den kühnen, berechnenden Scharf­sinn D…s, über den Um­stand, daß er dieses Doku­ment stän­dig zur Hand haben mußte, falls er es irgend­wie be­nützen oder vernichten wollte, und über die Tatsa­che nachdenke, daß es sich nicht, wie ich mich an Hand des Berichtes [der Polizei] zur Genüge überzeugte, im Be­reich der schablonen­mäßig ausgeführten Nachfor­schungen der Polizei befand, um so fester wurde meine Über­zeugung, daß der Minister, um den Brief sicher zu ver­stecken, den schlausten Ausweg benutzt hatte, ihn über­haupt nicht zu verstecken.“

Natürlich ist Dupins Erkenntnis richtig; er findet den Brief, der fast völlig offen im Ar­beits­zim­mer der Ministers liegt. Es stellt sich jedoch die Frage, ob ein Mensch die glei­chen Gedankengänge haben kann wie ein anderer, ob Du­pins Glaube an die Kongruenz von Einfäl­len nicht ein Wunsch­bild ist, das zwar ab und zu eintreten kann, aber von des­sen seltenem Auftreten man nicht auf ein Gesetz schlie­ßen soll­te.

Die innere logische Abge­schlossenheit von Du­pins Ablei­tung ist so zwar perfekt, kann jedoch nicht dar­über hinweg­täuschen, daß sie nur auf Sand gebaut ist, weil das vor­an­ge­­stell­te Axiom seiner Induktion nicht der Realität entspricht.

Dennoch besteht Dupin auf einem Primat der Vernunft. So zieht er bei seinen Be­trach­tun­­gen und Schlüs­sen irrationale Momente gar nicht in Erwä­gung. Ein Mord, dem das Motiv fehlt, kann es bei Dupin nicht geben. Das widersprä­che seiner Einstellung.

spaceholder red  „Mir kommt es vor, als halte man dieses Rätsel gerade aus dem Grun­de für un­­lös­bar, der es ebenso leicht lös­bar macht,“

behauptet Dupin, von sich über­zeugt, vor seiner Aufklärung der Morde in der Rue Morgue.

Er, der zu Poes Zeiten bewundert und als großer Gelehr­ter betrachtet wurde, er­scheint uns heute nicht mehr als Mensch, sondern viel eher als bloße plappernde Denk­ma­schine, der eine menschli­che Gefühlswelt vollkommen abgeht — wie so vielen seiner Nachfolger.

Auch seine breit dargelegte Exzentrizität, seine Vorliebe für nächtliche Spazier­gänge, seine stillen Träumereien in der Wohnung in der Vorstadt St. Germain ver­mögen diesen Eindruck nicht zu verwischen.

Man könnte denken, daß Poe sich hier von seiner Grund­haltung nicht lösen konnte, daß auch in den Kriminalge­schichten der Poe der Horrorgeschichten, des Grotesken und Grausigen hervortritt, das sich in den Verbrechen die­ser Er­zählungen ebenso ein­ge­nis­tet hat wie in dem Schreckens­märchen über den Maelström (A Descent into the Mael­ström; Graham’s Magazine; 1841) oder wie in der be­rühmt-berüchtigten Kurzgeschichte The Tell-Tale Heart (1843).

Dupin, der nur eins und eins zusammenrechnet und (anschei­nend) mit Ver­nunft vor­geht, muß — wie der Leser am Ende einsieht — den Menschenaffen als Dop­pelmörder überführen.

Für einen normalen Sterblichen ist es — mög­licherweise durch sein gebundenes, recht eintöniges Le­ben, das selten Neues bringt — un­möglich zu dem Schluß zu kommen, daß der Mord an Madame L’Espanayes und ihrer Tochter nicht von einem Menschen be­gan­gen wor­den ist, sondern von ei­nem Orang-Utan. So findet die Polizei, die aus sol­chen Menschen be­steht, auch nicht den Täter.

Aus den Schilderungen Vidocqs kannte Poe die Pariser Stadtpolizei recht ge­nau. Da­durch, daß er den Namen des damals amtierenden Polizeipräfekten in einer Kurzge­schichte einmal erwähnt, läßt sich erkennen, daß er sich über die Memoiren Vidocqs hinaus mit dem französi­schen Polizeiwesen beschäftigt hat.

Dennoch stehen die Polizei­agenten, die geschildert werden, in krassem Ge­gensatz zu Dupin; sie müssen den unvermeidlichen Pol ihm gegenüber bilden, durch den seine Über­le­gen­heit erst richtig herausge­hoben wird. Der in The Purloined Letter auftretende Präfekt ist kurz­sichtig, phantasielos, dümmlich, aber methodisch. Nach zwei intensiven Versuchen der Polizei, den verschwunde­nen Brief zu finden, löst Dupin die An­ge­le­gen­heit rasch und mit Leichtigkeit.

Dupin arbeitet als Einzelperson gegen den gesamten Polizeiapparat mit des­sen viel größeren Möglichkei­ten und behauptet sich schließlich gegen die Über­macht, was ihm eine zahlreiche Leserschaft eingebracht hat.

Ein Supermann zieht das Publikum immer an. Odysseus — als Übermensch — fesselte die Hö­rer- und Leserscharen auf die gleiche Weise wie David in der Bibel, und der der Zeit­strömung entspre­chende Chevalier Dupin tat dies wie später einer sei­ner Nach­foläger: James Bond.

Einen weiteren Grundgedanken, der bis in das zwanzigste Jahrhundert der De­tek­tiv­ge­schich­te eigen blieb, führte Poe mit dem ungenannten Erzähler und Ge­hilfen Dupins ein. Die­se Gestalt, die allgemein nach dem legendären Begleiter von Sherlock Holmes „Watson“ genannt wird, er­kannte Poe als wichtiges Mittel zur Verbindung des De­tektivs mit dem Le­ser.

Äußerte der Detektiv seine Meinung über ein Verbrechen dem Leser gegen­über ohne Zwischenglied, so würde die ge­samte Geschichte an lebendiger Handlung und Bewe­gung verlieren, und die Spannung würde sinken (wie es zum Bei­spiel in Hercule Poirots langweiligen und lang­wierigen Er­klärungen am Ende einiger Romane von Aga­tha Chri­sties geschieht). Die Erzählung könnte sogar un­glaubhaft werden.

„Watson“ als Medium, der den klaren, präzisen und raschen Darlegungen des De­tek­tivs nur mit Mühe folgen kann, ver­hindert dies und gibt dem Leser zudem das Ge­fühl, überlegen zu sein. „Watson“ wer­den die Zusammenhänge breit und eindringlich er­klärt — und der Leser bleibt gefes­selt.

Auch die geringschätzige Meinung über die Polizei wur­de lange Zeit beibehal­ten und blieb ein beliebtes Mittel, die Geistesstärke des Detektivs herauszu­stellen, solange der De­tektiv nur eine Privatperson war und er nicht wie später in den Polizeiromanen der Polizei selbst angehörte. Noch Sir Arthur Conan Doyle wandte die­se Methode bei In­­spek­tor La­stra­de in seinen Sherlock-Hol­mes-Geschichten und S.S. van Dine in sei­nen Ro­ma­nen über den Detektiv Philo Vance an.

Der von Poe ausgestreute Samen fiel auf einen für ihn reifen Boden. Die De­­tek­tiv­ge­schich­te konnte bald mit den Horror- und Abenteuergeschichten konkurrieren und über­flü­gel­te die die Salons beherrschenden Erzählungen über Pioniere und Abenteurer in Nord­ame­ri­ka und Dunkelmänner in Euro­pa.

Die Hauptschuld daran trug in der von Kriegen kaum heimge­suchten Zeit der wach­sen­de Wohl­stand des Bürgertums, das das Gros der Leserschaft bildete; es wollte sei­nen Lebensstandard erhalten wissen. Der Abenteuer­roman war dazu nicht geeignet. Hier gab es keinen Un­terschied zwischen Recht und Unrecht, hier wur­de geschos­sen und ge­mor­det, hier galt das Recht des Stärke­ren.

Anders war es im Detektivro­man, der in einer bürgerli­chen Umge­bung spielte. Der De­tek­tiv ver­kör­per­te Recht und Gesetz; der Verbrecher war stets im Unrecht. Immer wenn sich ein Verbrecher gegen ein Mitglied der Gesell­schaft verging, durchschau­te der Detektiv schließlich den Übeltäter und über­führte ihn, auch wenn das Verbrechen noch so undurch­sichtig und heim­tückisch war.

TurnPrevPage TurnNextPage

PAR_book

Peter de Chamier: Der Detektiv in der Li­te­ra­tur • Ein Essay zum Ei­gen­ge­brauch. 121 Seiten.
Dritte Auflage 2023 | e-Fassung
© 2023 by Peter de Chamier.

www.de-chamier.com


Inhalt

Vorstellung

Einführung
Die Vorläufer
Edgar Allan Poe
Sherlock Holmes
Holmes’ Nachfolger
Hercule Poirot
Blick nach Amerika
Kommissar Maigret
Hard-boiled
Und in Europa?
Made in Germany
Sex and Crime
Spionageromane
Epilog

Home Page
All Contributions


More books (in English) by Peter de Chamier — Click on the cover for more information:

PdC_Unnamed-Forces

PdC_Berlin-Export

PdC_Occident-Express

PdC_Stamp-Collector