ür den Menschen spielen die Archetypen des Unbewußten eine Schlüsselrolle zur Deutung seines Verhaltens in seiner Umgebung und in der Gesellschaft. Laut Helmut Barz ist der Archetyp
„die Modellvorstellung einer ererbten Struktur (deren Lokalisation noch unbekannt ist). Auch der Archetyp wählt aus komplexen Umweltreizen bestimmte typische Kombinationen aus und bewirkt sodann bestimmte Reaktionen, die nun aber nicht wie beim Instinkt in mehr oder weniger einfachen Bewegungsabläufen bestehen, sondern in teilweise hochkomplizierten Kombinationen von Gefühlen, Strebungen und Vorstellungen, und vor allem darin, daß symbolische Bilder entweder phantasiert oder direkt auf die Umwelt projiziert werden ... Die Archetypen sind also die Bewirker und Anordner der allgemeinmenschlicher Symbolkombinationen, wie sie uns in überraschender Gleichförmigkeit in Mythen, Märchen, Folklore und Kunstwerken aller Völker und Zeiten entgegentreten … [Sie] sind (angeborene) Strukturelemente des Unbewußten, die die Bereitschaft zur Hervorbringung von Bildern darstellen, die Bilder selbst werden der Umwelt entnommen.“ [24]
Analog der Spontanpotentiale der Triebe, stellen die Archetypen sozusagen Zentren psychischer Energie dar, was ihren großen Einfluß auf das Denken und Verhalten von Mensch und Gesellschaft erklärt. Daß die Archetypen real sind, wird durch Darstellungen mythologischen Inhaltes in den Werken der Kunst, die uns seit Jahrtausenden überliefert wurden, unübersehbar dargestellt.
Die Theorie der Archetypen ist auch Ziel vehementer Kritik gewesen. Beim Lesen solcher Kritiken fällt auf, daß sie fast alle mit einem missionarischen Ton vorgebracht werden, was sie einseitig erscheinen lassen. Alle Theorien über das Unbewußte — das rational nicht erfaßbar und beweisbar bleibt — dürfen nie verallgemeinert werden, sondern nur, wie dies Jung formuliert hat, als das verstanden und benützt werden, was sie sein können: Arbeitshypothesen zur Deutung von beobachteten Tatsachen.
Wir müssen versuchen, ohne Voreingenommenheit uns mit Phänomenen auseinanderzusetzen, die rational nicht voll erklärbar erscheinen und bei denen eine endgültige Wahrheit nicht zu erreichen ist. Oft fehlt uns die geistige Fähigkeit, uns zwischen Rationalem und Irrationalem zu bewegen, wie es Goethe gezeigt hat.
Einzelne dieser Archetypen, die uns in unserer Gesellschaft besonders beschäftigen und sie prägen, werden im folgenden beschrieben:
Ein besonders relevanter archetypischer Mythos ist der Bestrafungsmythos.
In der Antike ist er in der Aischylos’ Tragödie Der gefesselte Prometheus dargestellt — die Tragödie eines Menschen, der sich anmaßt, gegen den Willen des mächtigen Gottes Zeus der Menschheit das Feuer zu bringen. Der Mythos des Fliegers Ikarus stellt ebenfalls die Bestrafung eines vermessenen Menschen dar.
Es ist die im kollektiven Unbewußten verankerte Angst vor jeder großen, das Leben der Menschheit nachhaltig verändernden und als anmaßend empfundenen Tat oder Entdeckung des menschlichen Geistes, ein Ausdruck der Urangst des konfliktträchtigen Spannungsfeldes zwischen Unbewußtem und Bewußtsein. Diese ablehnende Angst kann in der Geschichte der Menschheit in allen Kulturen aller Zeiten beobachtet werden – man denke nur als Beispiel an die Kopernikanische Revolution.
Diese archetypische Angst wird heute von den Fortschritten der modernen Wissenschaft und Technologie hervorgerufen, deren exponentielle Geschwindigkeit den Lernprozess der Anpassung des Menschen – bewußt oder unbewußt — überfordert und starkes Unbehagen erzeugt. Die nukleare Reaktortechnik ist ein Beispiel: Die erzeugte Strahlung ist unheimlich, da sie weder sichtbar noch fühlbar ist. Sie wird unbewußt immer noch mit der Atombombe — der Bestrafung — assoziiert. Alle Vorteile dieser Technik als umweltschonende Energiequelle werden kraft der archetypischen Angst selektiv nicht wahrgenommen oder verdrängt, unter dem Einfluß des Unbewußten kommt es zu einer bisweilen grotesk verzerrten Wahrnehmung der Risiken, die bis zur Weltuntergangsstimmung führen sollen.
Der Reaktorunfall von Harrisburg wurde 1979 als eine Katastrophe wahrgenommen, obschon dabei der Schaden begrenzt blieb. Eine erhöhte Strahlenbelastung eines Reaktorarbeiters wird in allen Medien als schlimme Hiobsbotschaft ausführlich verbreitet, während der Tod von tausenden von Bergarbeitern, die zur Energiegewinnung jährlich in den Kohlegruben ihr Leben lassen, von den Medien nur beiläufig oder gar nicht erwähnt und emotional kaum wahrgenommen wird. Gleiches gilt für die großen Katastrophen bei der Erdöl- und Gasgewinnung und die Zerstörung des Lebensraumes durch Fracking.
Auf der anderen Seite wird selbst die in ihrem Ausmaß schlimme Reaktorkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima in ihren Ursachen und Folgen nicht ausgewogen beurteilt und der Nukleartechnologie als solche zugeschrieben — nicht dem menschlichen Versagen, das dahintersteckt.
Bei der modernen Genforschung im allgemeinen und in der Landwirtschaft im besonderen tritt der Bestrafungsmythos in ähnlicher Weise in Erscheinung, indem ein Horrorszenario ihrer Gefahren gezeichnet wird. Indem die Vernunft eine utopische (i.e. paradiesische) absolute Sicherheit fordert, verhindert sie auch in diesem Falle in unserer Gesellschaft eine sachliche kritische Auseinandersetzung mit dem Problem seiner Möglichkeiten und Gefahren: Der Fortschritt wird archetypisch als angsterregende Anmaßung empfunden, die zur Bestrafung führen muß.
Das bewußt eingegangene Risiko, zum Beispiel im Autoverkehr, wird ganz anders wahrgenommen als die vergleichsweise weniger wahrscheinlichen Risiken der Nukleartechnik. Um die archetypische Angst des Unbewußten zu rechtfertigen und erklären greift der Verstand zur Bekämpfung dieser Technologien nach dem Pseudorationalismus.
Unter den gesellschaftlich und politisch relevanten Archetypen spielt der des Paradieses, nicht im Sinne der religiösen Paradiesvorstellungen nach dem Tode, sondern von idealen, paradiesischen Zuständen auf Erden, eine wichtige Rolle. Die Paradiesvorstellungen des Menschen sind so alt wie seine Kulturen: Die Griechen der Antike hatten in ihrer Mythologie das Goldene Zeitalter, genauso wie die Jüdisch-Christliche Religion das Paradies vor der Sünde. Auch Jean-Jacques Rousseaus Retour à la nature ist eine Ausdrucksform dieses Archetyps.
Um konkret an unsere Zeitgeschichte zu anzuknüpfen, darf als Beispiel der kommunistische paradiesische Mythos nicht übergangen werden. C.G. Jung kommentierte dies:
„Die kommunistische Welt besitzt einen großen Mythos (den wir eine Illusion nennen, in der vagen Hoffnung, unser überlegenes Urteil würde ihn zum Verschwinden bringen). Es ist der alte, archetypische Traum von einem goldenen Zeitalter oder Paradies, wo alles für alle im Überfluß vorhanden ist und ein großer, gerechter und weiser Herrscher einen menschlichen Kindergarten regiert. Dieser mächtige Archetyp hat sie in einer infantilen Form ergriffen, aber er wird nicht beim bloßen Anblick unseres überlegenen Standpunktes verschwinden. Wir unterstützen ihn sogar noch durch unsere eigene Kindlichkeit, denn unsere westliche Welt befindet sich im Griff derselben Mythologie.“ [25]
Dies sind Worte, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen — auch der moderne Wohlfahrtsstaat entspricht dieser Paradiesvorstellung.
In der Gegenwart spielt ein weiterer Aspekt der Paradiesvorstellung eine bedeutende Rolle, nämlich der der Natur. Mit der Industrialisierung, der Verstädterung der Bevölkerung, sowie der steigenden Bevölkerungsdichte in den entwickelten Ländern, ist ein verbreitetes Unbehagen entstanden.
Diese Entwicklung wird insofern besonders stark wahrgenommen, als sie in einem, nach historischem Zeitmaß, äußerst schnellen Tempo stattgefunden hat. Wohnsiedlungen, die noch vor wenigen Jahren inmitten einer natürlichen Landschaft lagen, sind verstädtert. Jedes neue Haus, das in unserem Blickfeld entsteht und die natürliche Vegetation verdeckt, erzeugt spontan ein Gefühl der Ablehnung, es ist ein Angriff auf unser emotionales Weltbild und unsere Kindheitserinnerungen.
Die Natur, für die der Mensch stammesgeschichtlich programmiert wurde, wird durch eine künstliche, vom Menschen geschaffene Welt ersetzt. Daß eine solche Entwicklung einen negativen Einfluß auf die unbewußte Befindlichkeit der Menschen haben muß, liegt auf der Hand — ein Einfluß, der den Menschen allerdings nicht bewußt ist, in seinem Ausmaß aber nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies der Natur erklärt die regelrechte „Flucht“ aus dem heutigen unnatürlichen Umfeld der großen Agglomerationen in Form von Reisen in fernen Ländern wo, zumindest dem Schein nach, die Natur noch intakt ist, und die zu tatsächlichen, meist sommerlichen „Völkerwanderungen“ geworden sind. Mit der Vernunft allein wäre nicht zu erklären, warum Urlaubsreisende für ein paar Tage Ferien so lange, beschwerliche Reisen mit langen Wartezeiten in stickigen, überfüllten Flughäfen oder im Autostau unter der sengenden Sonne auf sich nehmen würden, um dann schließlich in einem wiederum verstädterten Ferienort zu landen.
Die Verwandlung einer Agrargesellschaft zu einer verstädterten Industriegesellschaft hat auch in einer anderen Hinsicht das Verhältnis zur Natur gestört, indem nämlich eine echte, sinnliche und emotionale Beziehung zu ihr verlorengegangen ist; besonders Stadtkinder sind schwer davon betroffen.
Das wird von der Geschichte eines kleinen Stadtkindes illustriert, das ganz aufgeregt seinem Vater zuruft: „Komm Papi, schau, ein Pferd, aber ein echtes!“ Es kannte das Pferd nur von Bildern.
Kinder, die auf dem Land mit Kühen, Pferden, Haustieren aller Art aufwachsen, die Blumen, Pflanzen und Bäume wachsen sehen oder Eidechsen und Insekten neugierig beobachten, die sich in der Erde tummeln können und viele Gerüche wahrnehmen, gewinnen als Erwachsene aus diesen Kindheitserlebnissen entscheidend an inneren, emotionalen Stabilität. Leider begünstigt ein verlorenes Bewußtsein darüber, daß der Mensch nicht nur materielle, sondern auch unbewußte, archetypische Bedürfnisse hat, eine auf die Dauer verhängnisvolle Verstädterung, wogegen sich die ländlichen Gegenden entvölkern. Erstaunlicherweise empfindet nämlich der Mensch mit seiner selektiven Wahrnehmung eine Bahnfahrt vom Lande zum Arbeitsplatz von einer Stunde viel länger als dieselbe Fahrzeit in einer städtischen Stadtstraßenbahn.
Als politische Äußerung der archetypischen Paradiesvorstellung (und teilweise auch des Bestrafungsmythos) sind die Bewegungen der Grünen entstanden, die die unbewußte, echte Befindlichkeitsstörung der Bevölkerungen der industrialisierten, künstlichen Welt katalysieren. Als Sprachrohr des Unbewußten haben sie auf Politik und Gesellschaft einen wichtigen und auch nützlichen Einfluß, denn sie haben die Aufmerksamkeit der Medien und der verantwortlichen Politiker auf dieses Bedürfnis der Menschen hingewiesen. Ohne ihre politische Stimme, wären manche Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes nicht realisiert worden. Wenn man diese Bewegungen als Äußerung des Unbewußten mit der mythischen Paradiesvorstellung erkennt, sind ihre völlig unrealistischen, fundamentalistischen Forderungen in der Politik leicht zu verstehen. Als kleine Gruppen mit einem ausgeprägten Gemeinschaftssinn vereinigen sie sich um ihre Ideen und grenzen sich politisch radikal gegenüber Andersdenkenden ab, sie sind von ihrem Wesen her kompromißunfähig. Die emotionsgeladenen Dispute innerhalb der Grünen Parteien und ihre politische Argumentationen sind ein Paradebeispiel des Pseudorationalismus.
Genau betrachtet, werden die „Umweltschützer“ sich selber untreu, wenn sie sich kompromißbereit in die Verantwortung der Regierungen einbinden lassen. Das ist auch der Grund dafür, daß sie immer Minderheitsparteien bleiben werden.
Nahe verwandt zur Paradiesvorstellung ist der Sonnenarchetyp: die Sonne als Spender der natürlichen Wärme und Energie für die Natur, der Gott der Inkas. Unzählig sind in der Kulturgeschichte die der Sonne gewidmeten religiösen Riten und in der Dichtung gewidmeten Gedichte. Die Sonne ist der Gegensatz zur Nacht und zum Tod; sie steht für die positive Stimmung, für das Leben.
Da ist es naheliegend, daß die Kernenergiegegner für die „sanfte“ Sonnenenergie schwärmen und die Sonne zum Signet ihrer Bewegung machen. Die physikalische Tatsache, daß diese Energieform, zumindest beim heutigen Stand der Kenntnisse, nur von der Natur, vor allem von den Pflanzen, effizient genutzt werden kann, wird von ihrer Vernunft nicht wahrgenommen, denn das Unbewußte läßt dies bei ihnen nicht zu. Zur Charakteristik der Bewegungen der Grünen gehört noch eine auf den ersten Blick verblüffende Feststellung — mit Ausnahme der Sonnenanbetung sind weitgehend negative Regungen des Unbewußten am Werk, das heißt, Grüne und Kernkraftgegner setzen sich meistens gegen etwas und nie für etwas ein, sie agieren vor allem als Verhinderer und sind rückwärts- und selten vorwärtsgewandt.
So kann beim heutigen Stand der Technik die alternative Energie aus wirtschaftlichen Überlegungen kaum das Problem des weiter wachsenden Energiebedarfs lösen, es ist zurzeit eine reine Randerscheinung. Auch die heute gepriesene Windenergie gerät immer stärker im Konflikt mit dem Bedürfnis des Landschaftsschutzes. Es ist dieses Merkmal, das ihre politische Aktion bei der Mehrheit der Bürger kaum beliebt macht. Die Grünen kämpften vehement gegen das Waldsterben, doch wurde von ihnen noch nie eine medienwirksame konstruktive Aktion zugunsten der Natur gemacht. Man protestiert, wenn Bäume gefällt werden, aber tut wenig für eine Begrünung unserer Städte, wo aus falsch verstandener „Ordnungswut“ der Behörden alles systematisch mit Asphalt versiegelt wird, damit ja kein „undisziplinierter“ Grashalm wachsen kann; an Raum, um Bäume zu pflanzen wird selten gedacht, denn Bäume verursachen den Stadtverwaltungen Kosten und Umtriebe.
Wenn sich die Politiker all dieser Zusammenhänge bewußt wären, würde ihnen sofort klar, daß die beste politische Waffe gegen die Grünen weder politische Polemik noch rationale Gegenargumente sind. Doch Polemiken gegen die Grünen scheinen allemal der einfachere Weg.
Konkrete, vernünftig realisierbare Vorschläge und Maßnahmen, die dem unbewußten Bedürfnis der Menschen nach einer natürlichen Umwelt Rechnung tragen, sind jedoch der einzig tragbare Weg. Doch zu einer konsequenten, vernünftigen Umweltpolitik fehlt oft der politische Mut, zu viele wirtschaftliche Interessen — auch auf Seiten der Grünen — stehen ihr im Weg.
Drei unbewußte Archetypen beherrschen die aktuelle heftige politische Auseinandersetzung über die Umweltprobleme: die archetypische Paradiesvorstellung, der Bestrafungsmythos und der Sonnenarchetyp.
Mit der Zunahme der Bevölkerung gehen Urbanisierung und Zersiedelung des Landes einher, die der Natur mit ihrer Flora und Fauna zusetzen. Der zunehmende Bedarf nach pflanzlichen Rohstoffen wie Palmöl und Soja wird notgedrungen durch Rodungen zu landwirtschaftlichen Zwecken begleitet — ein Vorgang, der nicht durch Spekulation, sondern durch echte Nachfrage verursacht wird.
Der steigende Verbrauch an Strom und den fossilen Energieträger Öl und Kohle führt zu steigender Kohlendioxid-Emissionen. Gleichzeitig findet eine langsame Klimaerwärmung statt. Wohl die Tatsache verdrängend, daß natürliche Klimaschwankungen in der Erdgeschichte nachgewiesen sind und eine Erwärmung schon im 19. Jahrhundert noch vor der massiven Nutzung der fossilen Energieträger eingesetzt hat, wird die aktuelle Klimaerwärmung ausschließlich menschlicher Tätigkeit zugeschrieben.
Diese als unumstößliche Wahrheit betrachtete Annahme ist aber nur eine Hypothese, die falsifiziert werden kann — eine Hypothese, die dennoch immer mehr die Politik beeinflußt.
Über die Treibhausemissionen wird völlig irrational argumentiert. Zu den wichtigsten Quellen von Kohlendioxid in der Atmosphäre gehören die acht Milliarden Menschen als biologische Wesen, die zum Leben Sauerstoff verbrauchen und Kohlendioxid produzieren. Bei den Treibhausgas-Produzenten werden oftmals die Wiederkäuer übersehen, die große Mengen an Methangas produzieren, eine Produktion, die durch den zunehmenden Nahrungsbedarf der Menschen rasch steigt. Politisch wird dabei der Autoverkehr zu Sündenbock gemacht.
Bei der Förderung von verbrauchsarmen Hybridautos wird vergessen, daß der Bau eines Hybridautos doppelt so viel Energie in Anspruch nimmt wie der konventionelle Autobau, womit man sich auch die berechtigte Frage stellen sollte, nach wie viel gefahrenen Kilometer tatsächlich bei Hybridantriebe eine positive Energiebilanz einsetzt. Die überhastete, vorzeitige Verschrottung noch fahrtüchtiger, älterer Autos zugunsten von sparsameren und Hybridfahrzeugen ist damit energiepolitisch rational sehr fragwürdig.
Mit den steigenden Kraftstoffpreisen wird sich der Markt mit dem Übergang zu effizienteren Fahrzeugen ohne unnötige, kostspielige politische Zwänge von selber regeln.
Besonders kraß kommt die Irrationalität der unbewußten Archetypen in der Energiepolitik zum Tragen. Der steigende Wohlstand und die Entwicklung der Informationstechnologie führen zu steigender Nachfrage nach Energie im Allgemeinen und Strom im Besonderen. Die durchaus vorhandenen potentiellen Sparmöglichkeiten, zum Beispiel Wärmeisolation, erfordern große Investitionen und Zeit. Ohne einen rationalen Plan zur Sicherung der Stromproduktion haben die Regierungen Deutschlands und der Schweiz unter den Emotionen der Erdbebenkatastrophe von Fukushima mit der Begründung der Risiken der Reaktortechnik für Umwelt und Mensch Hals über Kopf entschieden, aus der Erzeugung von Atomstrom auszusteigen.
Neben den hypothetischen Menschenopfern der Nukleartechnologie spielen in der Bevölkerung zudem die Ängste um die Atommüllager eine wesentliche Rolle. Dabei wird die Tatsache vollständig ausgeblendet, daß man schon heute nicht mehr um die Erstellung von Lagern für den bereits produzierten Müll herumkommt; das Problem wird durch den Ausstieg nicht gelöst. Man muß zur Kenntnis nehmen, daß der archetypische unbewußte Bestrafungsmythos in der Lage ist, in der Politik rationales Denken völlig außer Kraft zu setzen. Aus diesen Gründen gestaltet sich die politische Auseinandersetzung mit den Atomkraftgegnern äußerst schwierig, nachgerade hoffnungslos. Ein Stimmungswechsel ist nur bei Änderung der Befindlichkeit zu erwarten, nämlich dann, wenn sich ein allfälliger Energiemangel oder hohe Energiepreise konkret beim einzelnen unangenehm bemerkbar machen, womit das Unbewußte bewußt würde.
Ähnliches spielt sich bei der Politik zugunsten der alternativen Energien ab: Hier ist es der unbewußte Sonnenarchetyp, der das rationale Denken außer Kraft setzt. Die Produktionskosten der alternativen Sonnen- und Windenergie sind beim heutigen Stand der Technik ein vielfaches teurer, das Problem der Energiespeicherung zur bezahlbaren Verfügbarkeit von Strom ist bei weitem nicht gelöst, die wirtschaftlichen Folgen der Energieverteuerung sind nicht absehbar.
Mit der Stillegung der Atomkraftwerke wird in naher und mittlerer Zukunft nicht auf Kohle- und Gaskraftwerke verzichtet werden können, was mit der angestrebten Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes und dem Klimaproblem kollidiert. Dazu tritt die brutale Zerstörung von Flora und Fauna und gewachsenen menschlichen Siedlungen durch den Braunkohleabbau und der Landschaft und des Meeres durch Windmühlen und Sonnenkollektoren. Eine sachliche, dem kritischen Rationalismus verpflichtete politische Beurteilung würde zu anderen politischen Entscheidungen führen.
Jede Kultur und jede Mythologie oder Religion der Menschengeschichte hat ihre Helden und Heldenepen. Ihre Anzahl ist vielfältig und groß. Es seien hier aus der Geschichte nur einige wenige davon zur Erinnerung zitiert: das Gilgamesch-Epos in Babylon (Anfang des 3. Jahrtausends v. Chr.), im Osten Mahabharata und Ramajana in Indien und Indonesien (5. und 4. Jahrhundert v. Chr.). Im Westen sind die Homerischen Epen des 8. Jahrhunderts v. Chr., der Mythos des Herakles sowie Vergils Äneis des 1. Jahrhunderts v. Chr. zu erwähnen, und es gibt viele mehr.
Der hohe Anspruch auf Allgemeingültigkeit dieser Epen und Helden gründet auf der Einheit von Individualität und kollektivem Unbewußten. Sie stellen das Bedürfnis des kollektiven Unbewußten dar, auf die Helden Eigenschaften und Tugenden zu projizieren, die einem selber abgehen, Menschen die Taten vollbringen, die der normale Mensch nicht vollbringen kann. In der Vergangenheit war ihr Ursprung mythologisch-religiöser Natur und wurde im Geschichtsbewußtsein mit der Gegenwart verbunden.
Mit der Aufklärung und dem Beginn und Fortschritt der Wissenschaften, der zunehmenden Säkularisierung des Alltags und Verlust des Sinnes für die Geschichte haben mythologische Epen und Helden als Ausdruck des Unbewußten ihre Wirkung weitgehend eingebüßt: Die Tell-Saga stellt das archetypische Bedürfnis des Menschen dar, über das Geschick der eigenen (Stammes-) Gemeinschaft selber bestimmen zu können.
In Verkennung seiner symbolischen Bedeutung für den Bürger wird der Mythos bewußt lächerlich gemacht oder dadurch zerstört, daß man seinen historischen Wahrheitsgehalt sucht und in Frage stellt. Da jedoch die Projektion des Menschen in einen Helden einem archetypischen Bedürfnis entspricht und das Epos als Orientierung dient, entsteht mit der Zerstörung der Mythen eine Lücke, die sich in der heutigen allgemeinen Orientierungslosigkeit äußert.
Diesem Mangel gegenüber, reagiert der moderne Mensch mit der „Erfindung“ von neuen Helden und Legenden. An die Stelle von mythischen oder religiösen Helden treten heute weltliche wie Rocksänger und Filmstars oder Spitzensportler. Instinktives Gruppenverhalten und Suggestion in der Masse, wie dies in Stadien zu beobachten ist, führen zu einer psychischen Regression bis zur Kritiklosigkeit, so daß diese Helden nicht mehr mit dem üblichen moralischen Maß gemessen werden und ihnen unverhältnismäßige Einkommen neidlos gegönnt werden, die bei „normalen“ Bürgern Anstoß erregen würden.
Da diese „Helden“ eine Projektion des kollektiven Unbewußten sind, ist es für ihre Verehrer unbedeutend, daß sich hinter der Fassade der Rockstars Menschen verstecken, die oft wahre seelische Ruinen sind, die ohne Drogen gar nicht fähig wären, ihre Show zu bieten, oder Sportler, die ohne Doping nicht mehr siegen könnten. Diese weltlichen Ersatzhelden sind die bedrückende Erscheinung des „aufgeklärten“, „rationalen“ Menschen, der keinen Zugang mehr zum Mythischen und Religiösen findet.
In diesem Zusammenhang sind einige Überlegungen über den Niedergang der Ärzte als „Götter in Weiß“ interessant und lehrreich. In früheren Zeiten, als die medizinischen Heilmittel und Heilmethoden der Ärzte nur geringe Heilungschancen boten, waren sie verehrte Menschen, weil sie im Unbewußten der Kranken und ihrer Angehörigen als Hoffnungsträger galten. Der kleinste Erfolg wurde gefeiert und brachte ihnen großes Ansehen und Dankbarkeit, ein Mißerfolg wurde als gottgewollt akzeptiert.
Die großen Fortschritte der Wissenschaft, Forschung und der Medizin haben die Behandlungsmöglichkeiten der Ärzte enorm verbessert, doch damit hat sich das Verhalten der Menschen ihnen gegenüber wesentlich verändert: Der Arzt ist vom Hoffnungsträger zum Träger der Gewißheit einer Heilung geworden. Gleichzeitig mit der Verbesserung seiner Leistungen ist er im Unbewußten von der Identifikationsfigur, zum normalen Menschen herabgestuft worden, dem man keine Fehler mehr verzeiht. Politisch spiegelt sich diese geänderte unbewußte Haltung im heutigen Streit über die Ärzteeinkommen. Während die mehrfachen Millioneneinkommen eines 18jährigen Tennisstars oder eines Formel-1-Piloten als die neuen Helden kaum Anstoß erregen, wird ein Millioneneinkommen eines Herzchirurgen, dessen Leistung, Einsatz und Verantwortung verstandesmäßig höher eingeschätzt sein sollte, sofort als ethisch unvertretbar empfunden: Die Ärzte sind heute keine Götter in Weiß mehr, sie sind vom „Sockel gefallen“.
Solange die Ersatzhelden von Rocksänger, Fernsehmoderatoren oder Spitzensportler dargestellt werden, ist dies harmlos. Doch mit dem durch den Rationalismus bedingten Verlust der Zuwendung zum Göttlichen und Religiösen sind in unserer Gesellschaft auch neue Gefahren auszumachen. Zum einen finden höchst dubiose Sekten mit ihren Gurus immer größeren Anhang. Wie gefährlich das sein kann, zeigen die Massen(selbst)morde in einigen Sekten der jüngeren Geschichte.
Doch auch weniger destruktive Sekten führen zur Marginalisierung und Isolierung ihrer Anhänger innerhalb der Gesellschaft, was kaum wünschenswert sein kann. Die Religiosität wirkt sich nur dann positiv aus, wenn sie von der Gesellschaft breit getragen wird. Doch noch gefährlicher sind mögliche neue politische Helden, die im Namen von Ideologien dem Menschen das Paradies auf Erden versprechen und damit, wie dies Karl Popper formuliert hat, die Hölle bringen. Wie dies mit Stalin (der noch heute in Rußland Verehrer findet), Hitler oder Che Guevara der Fall war, kann auch mit solchen "Helden" der unbewußte Heldenmythos voll zum Tragen kommen und zu Kritiklosigkeit und Regression der Massen führen.
Die Geschichte Europas des zwanzigsten Jahrhunderts ist ein tragisches Zeugnis dieser Gefahren.
Die aktuellen Bilder des Fanatismus und der Hysterie von Massenkundgebungen — dieser Urkräfte des Unbewußten, zum Beispiel in der islamischen Welt — haben etwas Furchterregendes an sich. Auch die Massen der Stadien können immer mehr Furcht erregen. Höchst bedenklich ist die Feststellung, daß die Medienschaffenden diese Bilder senden, ohne genügend auf das Gefahrenpotential solcher kollektiven Erscheinungen der Regression aufmerksam zu machen.
Die Tatsache, daß zum jetzigen Zeitpunkt in Europa keine politische Ideologie abzusehen ist, welche solche „Helden“ hervorbringen könnte, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der zeitgenössische Materialismus und Mangel an Bedeutung der Transzendenz und der Mythen, der damit verbundenen Orientierungslosigkeit und neurotischen Verwahrlosung, eine ständig lauernde Gefahr für die offene Gesellschaft darstellen. Das einzige Mittel gegen diese Gefahren ist die Jungsche Individuation des Menschen, das Zu-sich-selbst-Finden als einzelnes Wesen.
24. Barz, Helmut. a.a.O.
25. Jung, C.G. Der Mensch und seine Symbole. Olten und Freiburg im Breisgau: Walter Verlag. 1986. 85.
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Alexander von Wyttenbach: Die Vernunft als Untertan des Unbewussten.
Betrachtungen, herausgegeben und mit einem Geleitwort versehen von Peter A. Rinck.
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